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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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Mittelalter eine Glocke goß zu Ehren einer Stadt,
opferten die Reichen von ihrem Silber, daß sie einen
schönen Klang gewinne, so war der Glaube. Wenn
aber das Erz im Guß war, überkam eine fieberhafte
Lust Alle, man griff in die Läden und trug, was
man kostbares entbehren konnte, hinzu; ja, auch was
man nicht entbehren konnte, und in der Opferlust sah
man arme Wittwen, alte Mütterchen, hinzustürzen,
um ihren letzten Löffel in den Kessel zu werfen. Ihr
Herz jauchzte, und die Thräne rollte über die ver¬
trockneten Runzeln, wenn sie ihr theures Silberstück
schmelzen sahen. Zur Glorie der Stadt! Und wenn
ihre Gebeine längst moderten, lebte, athmete, tönte
ihr Opfer den Nachlebenden in der Luft, im Silber¬
klang der Glocken.

Eine ähnliche Empfindung war es, mit der
Walter heut sich auf den Weg gemacht. Er hatte
kein Silberstück zu bringen; in dem Augenblick fühlte
er Alles werthlos, was er gedacht, geschrieben, sich
selbst wollte er opfern. Gleichviel was man mit ihm
anfinge. Es war kein anderer Impuls in ihm als
die Lust des Atoms, sich aufzulösen in das Allgemeine.
Nur rasch wünschte er die Operation. Es ist ja
Alles vergänglich; auch der tiefste Seelenschmerz, von
dem wir nie zu genesen glauben, ist nur ein bitterer
Rausch, der sich verflüchtigt. Wie furchtbar er auch
die Brust des Ruhigen, Verschlossenen durchwühlt, so,
in stillen Augenblicken, daß er die Sonne unterge¬
sunken sieht, um nirgend wieder aufzugehen, auch

Mittelalter eine Glocke goß zu Ehren einer Stadt,
opferten die Reichen von ihrem Silber, daß ſie einen
ſchönen Klang gewinne, ſo war der Glaube. Wenn
aber das Erz im Guß war, überkam eine fieberhafte
Luſt Alle, man griff in die Läden und trug, was
man koſtbares entbehren konnte, hinzu; ja, auch was
man nicht entbehren konnte, und in der Opferluſt ſah
man arme Wittwen, alte Mütterchen, hinzuſtürzen,
um ihren letzten Löffel in den Keſſel zu werfen. Ihr
Herz jauchzte, und die Thräne rollte über die ver¬
trockneten Runzeln, wenn ſie ihr theures Silberſtück
ſchmelzen ſahen. Zur Glorie der Stadt! Und wenn
ihre Gebeine längſt moderten, lebte, athmete, tönte
ihr Opfer den Nachlebenden in der Luft, im Silber¬
klang der Glocken.

Eine ähnliche Empfindung war es, mit der
Walter heut ſich auf den Weg gemacht. Er hatte
kein Silberſtück zu bringen; in dem Augenblick fühlte
er Alles werthlos, was er gedacht, geſchrieben, ſich
ſelbſt wollte er opfern. Gleichviel was man mit ihm
anfinge. Es war kein anderer Impuls in ihm als
die Luſt des Atoms, ſich aufzulöſen in das Allgemeine.
Nur raſch wünſchte er die Operation. Es iſt ja
Alles vergänglich; auch der tiefſte Seelenſchmerz, von
dem wir nie zu geneſen glauben, iſt nur ein bitterer
Rauſch, der ſich verflüchtigt. Wie furchtbar er auch
die Bruſt des Ruhigen, Verſchloſſenen durchwühlt, ſo,
in ſtillen Augenblicken, daß er die Sonne unterge¬
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[170/0180] Mittelalter eine Glocke goß zu Ehren einer Stadt, opferten die Reichen von ihrem Silber, daß ſie einen ſchönen Klang gewinne, ſo war der Glaube. Wenn aber das Erz im Guß war, überkam eine fieberhafte Luſt Alle, man griff in die Läden und trug, was man koſtbares entbehren konnte, hinzu; ja, auch was man nicht entbehren konnte, und in der Opferluſt ſah man arme Wittwen, alte Mütterchen, hinzuſtürzen, um ihren letzten Löffel in den Keſſel zu werfen. Ihr Herz jauchzte, und die Thräne rollte über die ver¬ trockneten Runzeln, wenn ſie ihr theures Silberſtück ſchmelzen ſahen. Zur Glorie der Stadt! Und wenn ihre Gebeine längſt moderten, lebte, athmete, tönte ihr Opfer den Nachlebenden in der Luft, im Silber¬ klang der Glocken. Eine ähnliche Empfindung war es, mit der Walter heut ſich auf den Weg gemacht. Er hatte kein Silberſtück zu bringen; in dem Augenblick fühlte er Alles werthlos, was er gedacht, geſchrieben, ſich ſelbſt wollte er opfern. Gleichviel was man mit ihm anfinge. Es war kein anderer Impuls in ihm als die Luſt des Atoms, ſich aufzulöſen in das Allgemeine. Nur raſch wünſchte er die Operation. Es iſt ja Alles vergänglich; auch der tiefſte Seelenſchmerz, von dem wir nie zu geneſen glauben, iſt nur ein bitterer Rauſch, der ſich verflüchtigt. Wie furchtbar er auch die Bruſt des Ruhigen, Verſchloſſenen durchwühlt, ſo, in ſtillen Augenblicken, daß er die Sonne unterge¬ ſunken ſieht, um nirgend wieder aufzugehen, auch

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/180>, abgerufen am 18.12.2024.