theilungen fast die nämlichen mit seiner Schrift, dann eine Ausführung -- es war fast Wort für Wort die seine -- nur der rhetorische Schluß ein anderer im Aktenstil.
Er ließ das Papier sinken. Ein Lichtstrahl zückte durch das Zimmer und auch in seine Seele: "So ist der Streit nur um die Priorität!"
"Der Streit ist entschieden, fiel der Minister scharf ein. Meine Gedanken über die Regeneration des Bauernstandes sind älter als -- was geht das Sie an! Fuchsius theilte ich sie Ende des vorigen Jahres mit, wir hatten darüber Gespräche, seit sechs Monaten ist er mit der Ausarbeitung des Promemoria beschäftigt, stückweise kannte ich die Arbeit schon früher, in ihrer vollendeten Gestalt legte er sie mir vor drei Monaten vor. Ihre Brochure trägt die Jahres¬ zahl 1806 auf der Stirn. Die Sache ist damit zu Ende."
Der Minister schien etwas zu erwarten. Wäre er ein König gewesen, die Stirn mit dem orientali¬ schen Nimbus umstrahlt, hätte man meinen sollen, er erwarte, daß der Andere zerknirscht ihm zu Füßen stürze, sich seiner Gnade ergebend. Aber er war ein deutscher Mann, ein Freiherr im schönsten Sinne des Wortes; er erwartete, daß der moralische Eindruck den jungen Mann erschüttern, zu Boden werfen werde, dann verkündete ein gütiger Zug um die Au¬ gen, daß er Gnade walten ließ für den Verirrten. Der Minister war kein Moralist, sonst würde er ge¬
theilungen faſt die nämlichen mit ſeiner Schrift, dann eine Ausführung — es war faſt Wort für Wort die ſeine — nur der rhetoriſche Schluß ein anderer im Aktenſtil.
Er ließ das Papier ſinken. Ein Lichtſtrahl zückte durch das Zimmer und auch in ſeine Seele: „So iſt der Streit nur um die Priorität!“
„Der Streit iſt entſchieden, fiel der Miniſter ſcharf ein. Meine Gedanken über die Regeneration des Bauernſtandes ſind älter als — was geht das Sie an! Fuchſius theilte ich ſie Ende des vorigen Jahres mit, wir hatten darüber Geſpräche, ſeit ſechs Monaten iſt er mit der Ausarbeitung des Promemoria beſchäftigt, ſtückweiſe kannte ich die Arbeit ſchon früher, in ihrer vollendeten Geſtalt legte er ſie mir vor drei Monaten vor. Ihre Brochure trägt die Jahres¬ zahl 1806 auf der Stirn. Die Sache iſt damit zu Ende.“
Der Miniſter ſchien etwas zu erwarten. Wäre er ein König geweſen, die Stirn mit dem orientali¬ ſchen Nimbus umſtrahlt, hätte man meinen ſollen, er erwarte, daß der Andere zerknirſcht ihm zu Füßen ſtürze, ſich ſeiner Gnade ergebend. Aber er war ein deutſcher Mann, ein Freiherr im ſchönſten Sinne des Wortes; er erwartete, daß der moraliſche Eindruck den jungen Mann erſchüttern, zu Boden werfen werde, dann verkündete ein gütiger Zug um die Au¬ gen, daß er Gnade walten ließ für den Verirrten. Der Miniſter war kein Moraliſt, ſonſt würde er ge¬
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theilungen faſt die nämlichen mit ſeiner Schrift, dann
eine Ausführung — es war faſt Wort für Wort die
ſeine — nur der rhetoriſche Schluß ein anderer im
Aktenſtil.
Er ließ das Papier ſinken. Ein Lichtſtrahl zückte
durch das Zimmer und auch in ſeine Seele: „So
iſt der Streit nur um die Priorität!“
„Der Streit iſt entſchieden, fiel der Miniſter
ſcharf ein. Meine Gedanken über die Regeneration
des Bauernſtandes ſind älter als — was geht das
Sie an! Fuchſius theilte ich ſie Ende des vorigen
Jahres mit, wir hatten darüber Geſpräche, ſeit ſechs
Monaten iſt er mit der Ausarbeitung des Promemoria
beſchäftigt, ſtückweiſe kannte ich die Arbeit ſchon früher,
in ihrer vollendeten Geſtalt legte er ſie mir vor drei
Monaten vor. Ihre Brochure trägt die Jahres¬
zahl 1806 auf der Stirn. Die Sache iſt damit zu
Ende.“
Der Miniſter ſchien etwas zu erwarten. Wäre
er ein König geweſen, die Stirn mit dem orientali¬
ſchen Nimbus umſtrahlt, hätte man meinen ſollen,
er erwarte, daß der Andere zerknirſcht ihm zu Füßen
ſtürze, ſich ſeiner Gnade ergebend. Aber er war ein
deutſcher Mann, ein Freiherr im ſchönſten Sinne des
Wortes; er erwartete, daß der moraliſche Eindruck
den jungen Mann erſchüttern, zu Boden werfen
werde, dann verkündete ein gütiger Zug um die Au¬
gen, daß er Gnade walten ließ für den Verirrten.
Der Miniſter war kein Moraliſt, ſonſt würde er ge¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/200>, abgerufen am 18.12.2024.
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