empfohlen zu sein. "War das nicht auch vielleicht Phantasie, fuhr er aus seinen Träumen auf, eine fixe Idee, wie die der guten alten Oberkirchenräthin! Bewegen wir uns nicht alle in einem großen Ge¬ spinnst, über das wir nie hinausfliegen, wie wir uns auch anstrengen! Wir sehen nur nicht das Gängelband, an dem man uns führt. Ja, Alle sind wir eingeführt in die Kreise, wo wir wirken sollen; der durch seinen Namen, Herkunft, der durch die glatten Wangen, das Geld des Vaters, es war ihm mitgegeben, als er geboren ward. Der ruft den Schneider, den Coiffeur, den Tanzmeister zu Hülfe. Sie lesen, bilden sich, um zu wirken. Was wäre unser ernstestes Studium, wenn uns nicht doch, als endliches Ziel, ein Wirkungskreis vor Augen stände, der uns gefällig machen soll, uns unter den Menschen erhebt, einen Einfluß verschafft! Warum nun, wo wir immerfort Hülfe suchen müssen, um die Lücken unseres dürftigen Ichs auszufüllen, die von uns stoßen, die man uns darreicht, die von selbst da ist! Das Netz, das uns umschlingt, heißt Con¬ nerionswesen. Ist's nicht in unsre Natur eingeimpft, bedingt durch unsre Gesellschaft, unser Gemeinwesen, lag es nicht ausgeprägt in unserm zünftigen, deutschen Sippschaftswesen? Der Sohn schlüpfte in die Kund¬ schaft, Rüstung, die Lehen seines Vaters, die Gesetze drückten ein Auge zu, die Freundschaft half und die Gewohnheit machte die Vererbung zu einem Recht. So überall. Wir sehen freilich Lumpe auf
empfohlen zu ſein. „War das nicht auch vielleicht Phantaſie, fuhr er aus ſeinen Träumen auf, eine fixe Idee, wie die der guten alten Oberkirchenräthin! Bewegen wir uns nicht alle in einem großen Ge¬ ſpinnſt, über das wir nie hinausfliegen, wie wir uns auch anſtrengen! Wir ſehen nur nicht das Gängelband, an dem man uns führt. Ja, Alle ſind wir eingeführt in die Kreiſe, wo wir wirken ſollen; der durch ſeinen Namen, Herkunft, der durch die glatten Wangen, das Geld des Vaters, es war ihm mitgegeben, als er geboren ward. Der ruft den Schneider, den Coiffeur, den Tanzmeiſter zu Hülfe. Sie leſen, bilden ſich, um zu wirken. Was wäre unſer ernſteſtes Studium, wenn uns nicht doch, als endliches Ziel, ein Wirkungskreis vor Augen ſtände, der uns gefällig machen ſoll, uns unter den Menſchen erhebt, einen Einfluß verſchafft! Warum nun, wo wir immerfort Hülfe ſuchen müſſen, um die Lücken unſeres dürftigen Ichs auszufüllen, die von uns ſtoßen, die man uns darreicht, die von ſelbſt da iſt! Das Netz, das uns umſchlingt, heißt Con¬ nerionsweſen. Iſt's nicht in unſre Natur eingeimpft, bedingt durch unſre Geſellſchaft, unſer Gemeinweſen, lag es nicht ausgeprägt in unſerm zünftigen, deutſchen Sippſchaftsweſen? Der Sohn ſchlüpfte in die Kund¬ ſchaft, Rüſtung, die Lehen ſeines Vaters, die Geſetze drückten ein Auge zu, die Freundſchaft half und die Gewohnheit machte die Vererbung zu einem Recht. So überall. Wir ſehen freilich Lumpe auf
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[212/0222]
empfohlen zu ſein. „War das nicht auch vielleicht
Phantaſie, fuhr er aus ſeinen Träumen auf, eine
fixe Idee, wie die der guten alten Oberkirchenräthin!
Bewegen wir uns nicht alle in einem großen Ge¬
ſpinnſt, über das wir nie hinausfliegen, wie wir
uns auch anſtrengen! Wir ſehen nur nicht das
Gängelband, an dem man uns führt. Ja, Alle ſind
wir eingeführt in die Kreiſe, wo wir wirken
ſollen; der durch ſeinen Namen, Herkunft, der durch
die glatten Wangen, das Geld des Vaters, es war
ihm mitgegeben, als er geboren ward. Der ruft
den Schneider, den Coiffeur, den Tanzmeiſter zu
Hülfe. Sie leſen, bilden ſich, um zu wirken. Was
wäre unſer ernſteſtes Studium, wenn uns nicht doch,
als endliches Ziel, ein Wirkungskreis vor Augen
ſtände, der uns gefällig machen ſoll, uns unter den
Menſchen erhebt, einen Einfluß verſchafft! Warum
nun, wo wir immerfort Hülfe ſuchen müſſen, um die
Lücken unſeres dürftigen Ichs auszufüllen, die von
uns ſtoßen, die man uns darreicht, die von ſelbſt
da iſt! Das Netz, das uns umſchlingt, heißt Con¬
nerionsweſen. Iſt's nicht in unſre Natur eingeimpft,
bedingt durch unſre Geſellſchaft, unſer Gemeinweſen,
lag es nicht ausgeprägt in unſerm zünftigen, deutſchen
Sippſchaftsweſen? Der Sohn ſchlüpfte in die Kund¬
ſchaft, Rüſtung, die Lehen ſeines Vaters, die Geſetze
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/222>, abgerufen am 21.11.2024.
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