Was hatten sie für ein Interesse, daß zwei sich ver¬ liebten, die bis da eine Abneigung gegen einander empfanden, eine verheirathete Frau von unbescholte¬ nem Ruf und bekannt wegen ihres Phlegmas, und ein Officier, dessen Passionen im Strom des Alltäg¬ lichen nie dem Siedegrad nahe gekommen waren? Was anderes, als die Sättigung, welche die Buhle¬ rin endlich zur Kupplerin macht! Der Kitzel, mit den Gefühlen Anderer zu spielen, wo die eigenen ver¬ siegt und ausgebrannt waren, die dämonische Luft, über das Loos Anderer zu schalten und walten, gleich¬ viel, ob mit ihrer Freiheit ihre Stellung in der Welt, ihre Ehre, ihr Seelenfriede und ihr Le¬ bensglück verloren ging. So mehr Vergnügen, je schwieriger die Aufgabe war. In der Anstrengung die Hindernisse überwinden, stählt die Kraft. Und diesen mächtigen Antrieb zum Bösen, sollte man ihn wegwerfen, wo man ihn zum Guten angreifen und nutzen kann.
Der Wagen war vorübergerollt. Sein Blick fiel auf eine Fensterreihe, schräg dem Hotel gegen¬ über. Ein Theil dieser Fenster war mit grünen Ja¬ lousieen verschlossen; sie schienen nicht erst heute gegen den Sonnenbrand herabgelassen, der dicke Staub darauf sprach von einem langen Verschluß. Das ganze Haus sah still und öde aus wie eines, worin Krankenluft wehte. Ein Leiterwagen mit Strohbun¬ den kam langsam herangefahren. Er hielt seitwärts. Man streute das Stroh sorgsam auf das Pflaster
Was hatten ſie für ein Intereſſe, daß zwei ſich ver¬ liebten, die bis da eine Abneigung gegen einander empfanden, eine verheirathete Frau von unbeſcholte¬ nem Ruf und bekannt wegen ihres Phlegmas, und ein Officier, deſſen Paſſionen im Strom des Alltäg¬ lichen nie dem Siedegrad nahe gekommen waren? Was anderes, als die Sättigung, welche die Buhle¬ rin endlich zur Kupplerin macht! Der Kitzel, mit den Gefühlen Anderer zu ſpielen, wo die eigenen ver¬ ſiegt und ausgebrannt waren, die dämoniſche Luft, über das Loos Anderer zu ſchalten und walten, gleich¬ viel, ob mit ihrer Freiheit ihre Stellung in der Welt, ihre Ehre, ihr Seelenfriede und ihr Le¬ bensglück verloren ging. So mehr Vergnügen, je ſchwieriger die Aufgabe war. In der Anſtrengung die Hinderniſſe überwinden, ſtählt die Kraft. Und dieſen mächtigen Antrieb zum Böſen, ſollte man ihn wegwerfen, wo man ihn zum Guten angreifen und nutzen kann.
Der Wagen war vorübergerollt. Sein Blick fiel auf eine Fenſterreihe, ſchräg dem Hotel gegen¬ über. Ein Theil dieſer Fenſter war mit grünen Ja¬ louſieen verſchloſſen; ſie ſchienen nicht erſt heute gegen den Sonnenbrand herabgelaſſen, der dicke Staub darauf ſprach von einem langen Verſchluß. Das ganze Haus ſah ſtill und öde aus wie eines, worin Krankenluft wehte. Ein Leiterwagen mit Strohbun¬ den kam langſam herangefahren. Er hielt ſeitwärts. Man ſtreute das Stroh ſorgſam auf das Pflaſter
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Was hatten ſie für ein Intereſſe, daß zwei ſich ver¬
liebten, die bis da eine Abneigung gegen einander
empfanden, eine verheirathete Frau von unbeſcholte¬
nem Ruf und bekannt wegen ihres Phlegmas, und
ein Officier, deſſen Paſſionen im Strom des Alltäg¬
lichen nie dem Siedegrad nahe gekommen waren?
Was anderes, als die Sättigung, welche die Buhle¬
rin endlich zur Kupplerin macht! Der Kitzel, mit
den Gefühlen Anderer zu ſpielen, wo die eigenen ver¬
ſiegt und ausgebrannt waren, die dämoniſche Luft,
über das Loos Anderer zu ſchalten und walten, gleich¬
viel, ob mit ihrer Freiheit ihre Stellung in der
Welt, ihre Ehre, ihr Seelenfriede und ihr Le¬
bensglück verloren ging. So mehr Vergnügen, je
ſchwieriger die Aufgabe war. In der Anſtrengung
die Hinderniſſe überwinden, ſtählt die Kraft. Und
dieſen mächtigen Antrieb zum Böſen, ſollte man ihn
wegwerfen, wo man ihn zum Guten angreifen und
nutzen kann.
Der Wagen war vorübergerollt. Sein Blick
fiel auf eine Fenſterreihe, ſchräg dem Hotel gegen¬
über. Ein Theil dieſer Fenſter war mit grünen Ja¬
louſieen verſchloſſen; ſie ſchienen nicht erſt heute gegen
den Sonnenbrand herabgelaſſen, der dicke Staub
darauf ſprach von einem langen Verſchluß. Das
ganze Haus ſah ſtill und öde aus wie eines, worin
Krankenluft wehte. Ein Leiterwagen mit Strohbun¬
den kam langſam herangefahren. Er hielt ſeitwärts.
Man ſtreute das Stroh ſorgſam auf das Pflaſter
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/224>, abgerufen am 21.11.2024.
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