freien Zutritt hatte, weil in letzter Zeit wenigstens die Geheimräthin seinen Wünschen entgegen zu kom¬ men schien, weil er unter andern Verhältnissen, in einem andern Hause für seine Hoffnungen fürchten mußte? Darum hatte er, zwar nicht gegen seine Pflicht gehandelt, aber doch -- die Gedankensünde begangen. Selbst ein Egoist, wagte er Andere anzuklagen!
Da rollte die Equipage der Fürstin vorüber, im Fond diese mit Adelheid, auf dem Rücksitz saß Louis Bovillard. Die Fürstin schien zu schlummern. Adelheid und Louis sahen nichts, sie sahen nur sich. Der Wagen war verschwunden, eine Erscheinung.
Ein "Gott sei Dank!" löste sich aus Walters Brust, vielleicht von seinen Lippen. Er fühlte eine wohlthätige Transpiration. Das Schicksal hat es so, es hat es vielleicht zum Besten gefügt. Ja, im Conto¬ buch stand noch seine Schuld auf der Seite "Soll," aber sie war ausgeglichen auf der Seite "Hat." Er hatte nichts mehr. Seine Geliebte war die Geliebte eines Andern. Sie war gerettet, und er -- verloren? Nein, er war nur frei geworden, um sein ganzes Ich, ohne Egoismus, hinzugeben einer andern Geliebten, dem Vaterlande, der Idee, als deren letztes Ziel in der Ferne -- Deutschlands Errettung vom Fremdjoche schwebte.
Mit Eifer setzte er sich an den Schreibtisch, und seine Arbeit förderte sich. Er war fertig, als der Minister eintrat.
freien Zutritt hatte, weil in letzter Zeit wenigſtens die Geheimräthin ſeinen Wünſchen entgegen zu kom¬ men ſchien, weil er unter andern Verhältniſſen, in einem andern Hauſe für ſeine Hoffnungen fürchten mußte? Darum hatte er, zwar nicht gegen ſeine Pflicht gehandelt, aber doch — die Gedankenſünde begangen. Selbſt ein Egoiſt, wagte er Andere anzuklagen!
Da rollte die Equipage der Fürſtin vorüber, im Fond dieſe mit Adelheid, auf dem Rückſitz ſaß Louis Bovillard. Die Fürſtin ſchien zu ſchlummern. Adelheid und Louis ſahen nichts, ſie ſahen nur ſich. Der Wagen war verſchwunden, eine Erſcheinung.
Ein „Gott ſei Dank!“ löſte ſich aus Walters Bruſt, vielleicht von ſeinen Lippen. Er fühlte eine wohlthätige Transpiration. Das Schickſal hat es ſo, es hat es vielleicht zum Beſten gefügt. Ja, im Conto¬ buch ſtand noch ſeine Schuld auf der Seite „Soll,“ aber ſie war ausgeglichen auf der Seite „Hat.“ Er hatte nichts mehr. Seine Geliebte war die Geliebte eines Andern. Sie war gerettet, und er — verloren? Nein, er war nur frei geworden, um ſein ganzes Ich, ohne Egoismus, hinzugeben einer andern Geliebten, dem Vaterlande, der Idee, als deren letztes Ziel in der Ferne — Deutſchlands Errettung vom Fremdjoche ſchwebte.
Mit Eifer ſetzte er ſich an den Schreibtiſch, und ſeine Arbeit förderte ſich. Er war fertig, als der Miniſter eintrat.
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freien Zutritt hatte, weil in letzter Zeit wenigſtens
die Geheimräthin ſeinen Wünſchen entgegen zu kom¬
men ſchien, weil er unter andern Verhältniſſen, in
einem andern Hauſe für ſeine Hoffnungen fürchten
mußte? Darum hatte er, zwar nicht gegen ſeine Pflicht
gehandelt, aber doch — die Gedankenſünde begangen.
Selbſt ein Egoiſt, wagte er Andere anzuklagen!
Da rollte die Equipage der Fürſtin vorüber,
im Fond dieſe mit Adelheid, auf dem Rückſitz ſaß
Louis Bovillard. Die Fürſtin ſchien zu ſchlummern.
Adelheid und Louis ſahen nichts, ſie ſahen nur ſich.
Der Wagen war verſchwunden, eine Erſcheinung.
Ein „Gott ſei Dank!“ löſte ſich aus Walters
Bruſt, vielleicht von ſeinen Lippen. Er fühlte eine
wohlthätige Transpiration. Das Schickſal hat es ſo,
es hat es vielleicht zum Beſten gefügt. Ja, im Conto¬
buch ſtand noch ſeine Schuld auf der Seite „Soll,“
aber ſie war ausgeglichen auf der Seite „Hat.“ Er
hatte nichts mehr. Seine Geliebte war die Geliebte
eines Andern. Sie war gerettet, und er — verloren?
Nein, er war nur frei geworden, um ſein ganzes
Ich, ohne Egoismus, hinzugeben einer andern
Geliebten, dem Vaterlande, der Idee, als deren letztes
Ziel in der Ferne — Deutſchlands Errettung vom
Fremdjoche ſchwebte.
Mit Eifer ſetzte er ſich an den Schreibtiſch, und
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/232>, abgerufen am 21.11.2024.
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