Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Als der Legationsrath langsam die Hintertreppe
hinunter über den Hof ging, sah er auf dem Bal¬
con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard
auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Oran¬
genstöcken schien er, den Kopf im Arme, auf die Töne
im Zimmer zu lauschen. Oder auch nicht. Als der
helle Mondenstrahl, hinter einer Wolke vorkommend,
auf sein Gesicht fiel, wäre der Beobachter vor dem
finstern Ausdruck erschrocken, wenn es in Wandels
Art gelegen hätte, zu erschrecken. Er dachte, mit
einem schlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin
eine leichte Treppe vom Balcon führte, das ist ja
ein betrübter Anfang zu einer Wonnescene, als mit
einem letzten Aufschlag das Spiel endete und der
Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand so wenig ein
Interesse, das zu belauschen, was auf dem Balcon
vorgehen würde, als für die Penseen der Fürstin bei
der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬
danken, die über das Buch hinwegflogen: "Groß ist
Salomo! sprach er, die Hofthür hinter sich zudrückend.
Unter der Sonne geschieht nichts Neues. Und das
Mirakel ist nur, daß sie um dasselbe Elend immer
wieder von vorn anfangen!"

Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflüster
unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬
gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er
lächelte nicht, er seufzte nicht; auch er hörte ja nur,
was er durch Tausende und Tausende von Jahren
gehört. Er kennt die stille Sprache des sanften Hände¬

Als der Legationsrath langſam die Hintertreppe
hinunter über den Hof ging, ſah er auf dem Bal¬
con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard
auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Oran¬
genſtöcken ſchien er, den Kopf im Arme, auf die Töne
im Zimmer zu lauſchen. Oder auch nicht. Als der
helle Mondenſtrahl, hinter einer Wolke vorkommend,
auf ſein Geſicht fiel, wäre der Beobachter vor dem
finſtern Ausdruck erſchrocken, wenn es in Wandels
Art gelegen hätte, zu erſchrecken. Er dachte, mit
einem ſchlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin
eine leichte Treppe vom Balcon führte, das iſt ja
ein betrübter Anfang zu einer Wonneſcene, als mit
einem letzten Aufſchlag das Spiel endete und der
Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand ſo wenig ein
Intereſſe, das zu belauſchen, was auf dem Balcon
vorgehen würde, als für die Penſéen der Fürſtin bei
der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬
danken, die über das Buch hinwegflogen: „Groß iſt
Salomo! ſprach er, die Hofthür hinter ſich zudrückend.
Unter der Sonne geſchieht nichts Neues. Und das
Mirakel iſt nur, daß ſie um daſſelbe Elend immer
wieder von vorn anfangen!“

Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflüſter
unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬
gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er
lächelte nicht, er ſeufzte nicht; auch er hörte ja nur,
was er durch Tauſende und Tauſende von Jahren
gehört. Er kennt die ſtille Sprache des ſanften Hände¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0281" n="271"/>
        <p>Als der Legationsrath lang&#x017F;am die Hintertreppe<lb/>
hinunter über den Hof ging, &#x017F;ah er auf dem Bal¬<lb/>
con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard<lb/>
auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Oran¬<lb/>
gen&#x017F;töcken &#x017F;chien er, den Kopf im Arme, auf die Töne<lb/>
im Zimmer zu lau&#x017F;chen. Oder auch nicht. Als der<lb/>
helle Monden&#x017F;trahl, hinter einer Wolke vorkommend,<lb/>
auf &#x017F;ein Ge&#x017F;icht fiel, wäre der Beobachter vor dem<lb/>
fin&#x017F;tern Ausdruck er&#x017F;chrocken, wenn es in Wandels<lb/>
Art gelegen hätte, zu er&#x017F;chrecken. Er dachte, mit<lb/>
einem &#x017F;chlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin<lb/>
eine leichte Treppe vom Balcon führte, das i&#x017F;t ja<lb/>
ein betrübter Anfang zu einer Wonne&#x017F;cene, als mit<lb/>
einem letzten Auf&#x017F;chlag das Spiel endete und der<lb/>
Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand &#x017F;o wenig ein<lb/>
Intere&#x017F;&#x017F;e, das zu belau&#x017F;chen, was auf dem Balcon<lb/>
vorgehen würde, als für die Pen&#x017F;<hi rendition="#aq">é</hi>en der Für&#x017F;tin bei<lb/>
der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬<lb/>
danken, die über das Buch hinwegflogen: &#x201E;Groß i&#x017F;t<lb/>
Salomo! &#x017F;prach er, die Hofthür hinter &#x017F;ich zudrückend.<lb/>
Unter der Sonne ge&#x017F;chieht nichts Neues. Und das<lb/>
Mirakel i&#x017F;t nur, daß &#x017F;ie um da&#x017F;&#x017F;elbe Elend immer<lb/>
wieder von vorn anfangen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflü&#x017F;ter<lb/>
unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬<lb/>
gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er<lb/>
lächelte nicht, er &#x017F;eufzte nicht; auch er hörte ja nur,<lb/>
was er durch Tau&#x017F;ende und Tau&#x017F;ende von Jahren<lb/>
gehört. Er kennt die &#x017F;tille Sprache des &#x017F;anften Hände¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[271/0281] Als der Legationsrath langſam die Hintertreppe hinunter über den Hof ging, ſah er auf dem Bal¬ con, der nach dem Garten führte, Louis Bovillard auf einer Bank ruhend. Unter Myrthen- und Oran¬ genſtöcken ſchien er, den Kopf im Arme, auf die Töne im Zimmer zu lauſchen. Oder auch nicht. Als der helle Mondenſtrahl, hinter einer Wolke vorkommend, auf ſein Geſicht fiel, wäre der Beobachter vor dem finſtern Ausdruck erſchrocken, wenn es in Wandels Art gelegen hätte, zu erſchrecken. Er dachte, mit einem ſchlauen Blick auf den dunkeln Garten, wohin eine leichte Treppe vom Balcon führte, das iſt ja ein betrübter Anfang zu einer Wonneſcene, als mit einem letzten Aufſchlag das Spiel endete und der Klavierdeckel zufiel. Wandel empfand ſo wenig ein Intereſſe, das zu belauſchen, was auf dem Balcon vorgehen würde, als für die Penſéen der Fürſtin bei der Lecture des Thomas a Kempis, oder bei den Ge¬ danken, die über das Buch hinwegflogen: „Groß iſt Salomo! ſprach er, die Hofthür hinter ſich zudrückend. Unter der Sonne geſchieht nichts Neues. Und das Mirakel iſt nur, daß ſie um daſſelbe Elend immer wieder von vorn anfangen!“ Nur die Nachtvögel hörten das Liebesgeflüſter unter den Myrthen und Orangen. Der Mond be¬ gleitete es durch die Laubengänge des Gartens. Er lächelte nicht, er ſeufzte nicht; auch er hörte ja nur, was er durch Tauſende und Tauſende von Jahren gehört. Er kennt die ſtille Sprache des ſanften Hände¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/281
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/281>, abgerufen am 24.11.2024.