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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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Adelheid gestern einen Brief empfangen von Walter,
einen freundlich heitern, eine Urkunde war es, worin
er das ihm anvertraute köstliche Gut, wie er es
nannte, der Eigenthümerin zur freien Disposition
zurückstellte. Mit welchem Scharfsinn hatte er aus¬
einandergesetzt, daß er nie ein Recht darauf gehabt,
daß es höchste Undankbarkeit sei, was die Dankbar¬
keit im überströmenden Gefühl des Augenblicks auf
den Altar legt, als verfallen anzunehmen, als un¬
widerrufliches Eigenthum. Hatte er nicht klar aus¬
einandergesetzt, daß er nicht die Eigenschaften besitze,
um Adelheid so glücklich zu machen, wie sie verdiene,
dahin, in die glänzenden Höhen sie zu fühlen, wozu
ihre Schönheit, Natur, die sichtliche Fügung des Him¬
mels sie bestimmt. Er sei ein stiller, sinnender Mann,
sie berufen zu glänzen. Sein Verdienst wäre viel¬
leicht, daß dieser Glanz ein echter werden müsse, daß
er sie gehütet vor dem Flitter und Schimmer, daß
er die Hochgefühle einer deutschen Jungfrau in ihr
geweckt; darauf sei er stolz; aber hatte er sich nicht
zugleich angeklagt, daß er diese Ueberzeugung gewalt¬
sam unterdrückt, daß er so lange sich getäuscht, daß
er, schon mit dem Bewußtsein, wie ihre Liebe nur
Achtung sei, ein Pflichtopfer, sich fort und fort ge¬
täuscht, es könnten doch andre Gefühle für ihn zum
Durchbruch kommen, und daß nicht ein freies Opfer
von seiner Seite, sondern erst ein Zufall, ein Im¬
puls des Momentes, die lange Kette des Truges ge¬
sprengt habe? Und hatte er nicht endlich versichert,

IV. 18

Adelheid geſtern einen Brief empfangen von Walter,
einen freundlich heitern, eine Urkunde war es, worin
er das ihm anvertraute köſtliche Gut, wie er es
nannte, der Eigenthümerin zur freien Dispoſition
zurückſtellte. Mit welchem Scharfſinn hatte er aus¬
einandergeſetzt, daß er nie ein Recht darauf gehabt,
daß es höchſte Undankbarkeit ſei, was die Dankbar¬
keit im überſtrömenden Gefühl des Augenblicks auf
den Altar legt, als verfallen anzunehmen, als un¬
widerrufliches Eigenthum. Hatte er nicht klar aus¬
einandergeſetzt, daß er nicht die Eigenſchaften beſitze,
um Adelheid ſo glücklich zu machen, wie ſie verdiene,
dahin, in die glänzenden Höhen ſie zu fühlen, wozu
ihre Schönheit, Natur, die ſichtliche Fügung des Him¬
mels ſie beſtimmt. Er ſei ein ſtiller, ſinnender Mann,
ſie berufen zu glänzen. Sein Verdienſt wäre viel¬
leicht, daß dieſer Glanz ein echter werden müſſe, daß
er ſie gehütet vor dem Flitter und Schimmer, daß
er die Hochgefühle einer deutſchen Jungfrau in ihr
geweckt; darauf ſei er ſtolz; aber hatte er ſich nicht
zugleich angeklagt, daß er dieſe Ueberzeugung gewalt¬
ſam unterdrückt, daß er ſo lange ſich getäuſcht, daß
er, ſchon mit dem Bewußtſein, wie ihre Liebe nur
Achtung ſei, ein Pflichtopfer, ſich fort und fort ge¬
täuſcht, es könnten doch andre Gefühle für ihn zum
Durchbruch kommen, und daß nicht ein freies Opfer
von ſeiner Seite, ſondern erſt ein Zufall, ein Im¬
puls des Momentes, die lange Kette des Truges ge¬
ſprengt habe? Und hatte er nicht endlich verſichert,

IV. 18
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[273/0283] Adelheid geſtern einen Brief empfangen von Walter, einen freundlich heitern, eine Urkunde war es, worin er das ihm anvertraute köſtliche Gut, wie er es nannte, der Eigenthümerin zur freien Dispoſition zurückſtellte. Mit welchem Scharfſinn hatte er aus¬ einandergeſetzt, daß er nie ein Recht darauf gehabt, daß es höchſte Undankbarkeit ſei, was die Dankbar¬ keit im überſtrömenden Gefühl des Augenblicks auf den Altar legt, als verfallen anzunehmen, als un¬ widerrufliches Eigenthum. Hatte er nicht klar aus¬ einandergeſetzt, daß er nicht die Eigenſchaften beſitze, um Adelheid ſo glücklich zu machen, wie ſie verdiene, dahin, in die glänzenden Höhen ſie zu fühlen, wozu ihre Schönheit, Natur, die ſichtliche Fügung des Him¬ mels ſie beſtimmt. Er ſei ein ſtiller, ſinnender Mann, ſie berufen zu glänzen. Sein Verdienſt wäre viel¬ leicht, daß dieſer Glanz ein echter werden müſſe, daß er ſie gehütet vor dem Flitter und Schimmer, daß er die Hochgefühle einer deutſchen Jungfrau in ihr geweckt; darauf ſei er ſtolz; aber hatte er ſich nicht zugleich angeklagt, daß er dieſe Ueberzeugung gewalt¬ ſam unterdrückt, daß er ſo lange ſich getäuſcht, daß er, ſchon mit dem Bewußtſein, wie ihre Liebe nur Achtung ſei, ein Pflichtopfer, ſich fort und fort ge¬ täuſcht, es könnten doch andre Gefühle für ihn zum Durchbruch kommen, und daß nicht ein freies Opfer von ſeiner Seite, ſondern erſt ein Zufall, ein Im¬ puls des Momentes, die lange Kette des Truges ge¬ ſprengt habe? Und hatte er nicht endlich verſichert, IV. 18

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/283>, abgerufen am 24.11.2024.