Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

bald zu Ende." -- "Dann kommt zuletzt doch noch
Einer, der erste Beste, setzte die Andre tröstend hinzu.
Und unter der Haube ist unter der Haube."

"Warum hört Adelheid auf das Geschnatter!"

"Weil ich es hinter ihrem geschlossenen Munde
lesen würde. Ja, ich bin eine Gebrandmarkte --
erschrick nicht, Louis, vor dem Wort, es ist nicht so
übel, es sind viele Bessere als ich, ich könnte zuwei¬
len sogar stolz darauf sein. So stolz, daß ich auch
meine Gleichen suche. Brauchst Du noch Beruhi¬
gung um Deinen Freund, so wisse, ich hätte jetzt
Waltern nicht mehr die Hand gereicht. Er war mein
Mentor, mein Schutzengel, er hob mich, ihm danke
ich, daß ich nicht unterging in dem Sumpfe; aber
nun steht er mir auch so hoch da, daß ich den stil¬
len, reinen Strom seines Lebens durch meine Be¬
rührung nicht trüben, nicht stören darf und will. --
Du bist mein Retter. Wir haben uns nichts vorzu¬
werfen, wir sind beide Fremde, Mißverstandene, Ge¬
miedene, Ausgestoßene, und unsre Herzen schlagen zu
einander. Das hinter uns lassen wir ruhen, und
blicken -- wir flüchten beide -- in eine bessere Zu¬
kunft."

"Wie Du selbstquälerisch Dich erniedrigst, sprach
er, ihre Hand an sein Herz drückend. Wenn der
gerechte Richter die Wage hält, ist die Schwere
Deiner Schuld wie die Flaumfeder, die in der Luft
sich wiegt."

"Die Welt ist kein gerechter Richter; sie wägt

bald zu Ende.“ — „Dann kommt zuletzt doch noch
Einer, der erſte Beſte, ſetzte die Andre tröſtend hinzu.
Und unter der Haube iſt unter der Haube.“

„Warum hört Adelheid auf das Geſchnatter!“

„Weil ich es hinter ihrem geſchloſſenen Munde
leſen würde. Ja, ich bin eine Gebrandmarkte —
erſchrick nicht, Louis, vor dem Wort, es iſt nicht ſo
übel, es ſind viele Beſſere als ich, ich könnte zuwei¬
len ſogar ſtolz darauf ſein. So ſtolz, daß ich auch
meine Gleichen ſuche. Brauchſt Du noch Beruhi¬
gung um Deinen Freund, ſo wiſſe, ich hätte jetzt
Waltern nicht mehr die Hand gereicht. Er war mein
Mentor, mein Schutzengel, er hob mich, ihm danke
ich, daß ich nicht unterging in dem Sumpfe; aber
nun ſteht er mir auch ſo hoch da, daß ich den ſtil¬
len, reinen Strom ſeines Lebens durch meine Be¬
rührung nicht trüben, nicht ſtören darf und will. —
Du biſt mein Retter. Wir haben uns nichts vorzu¬
werfen, wir ſind beide Fremde, Mißverſtandene, Ge¬
miedene, Ausgeſtoßene, und unſre Herzen ſchlagen zu
einander. Das hinter uns laſſen wir ruhen, und
blicken — wir flüchten beide — in eine beſſere Zu¬
kunft.“

„Wie Du ſelbſtquäleriſch Dich erniedrigſt, ſprach
er, ihre Hand an ſein Herz drückend. Wenn der
gerechte Richter die Wage hält, iſt die Schwere
Deiner Schuld wie die Flaumfeder, die in der Luft
ſich wiegt.“

„Die Welt iſt kein gerechter Richter; ſie wägt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0292" n="282"/>
bald zu Ende.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Dann kommt zuletzt doch noch<lb/>
Einer, der er&#x017F;te Be&#x017F;te, &#x017F;etzte die Andre trö&#x017F;tend hinzu.<lb/>
Und unter der Haube i&#x017F;t unter der Haube.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum hört Adelheid auf das Ge&#x017F;chnatter!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Weil ich es hinter ihrem ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;enen Munde<lb/>
le&#x017F;en würde. Ja, ich bin eine Gebrandmarkte &#x2014;<lb/>
er&#x017F;chrick nicht, Louis, vor dem Wort, es i&#x017F;t nicht &#x017F;o<lb/>
übel, es &#x017F;ind viele Be&#x017F;&#x017F;ere als ich, ich könnte zuwei¬<lb/>
len &#x017F;ogar &#x017F;tolz darauf &#x017F;ein. So &#x017F;tolz, daß ich auch<lb/>
meine Gleichen &#x017F;uche. Brauch&#x017F;t Du noch Beruhi¬<lb/>
gung um Deinen Freund, &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;e, ich hätte jetzt<lb/>
Waltern nicht mehr die Hand gereicht. Er war mein<lb/>
Mentor, mein Schutzengel, er hob mich, ihm danke<lb/>
ich, daß ich nicht unterging in dem Sumpfe; aber<lb/>
nun &#x017F;teht er mir auch &#x017F;o hoch da, daß ich den &#x017F;til¬<lb/>
len, reinen Strom &#x017F;eines Lebens durch meine Be¬<lb/>
rührung nicht trüben, nicht &#x017F;tören darf und will. &#x2014;<lb/>
Du bi&#x017F;t mein Retter. Wir haben uns nichts vorzu¬<lb/>
werfen, wir &#x017F;ind beide Fremde, Mißver&#x017F;tandene, Ge¬<lb/>
miedene, Ausge&#x017F;toßene, und un&#x017F;re Herzen &#x017F;chlagen zu<lb/>
einander. Das hinter uns la&#x017F;&#x017F;en wir ruhen, und<lb/>
blicken &#x2014; wir flüchten beide &#x2014; in eine be&#x017F;&#x017F;ere Zu¬<lb/>
kunft.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie Du &#x017F;elb&#x017F;tquäleri&#x017F;ch Dich erniedrig&#x017F;t, &#x017F;prach<lb/>
er, ihre Hand an &#x017F;ein Herz drückend. Wenn der<lb/>
gerechte Richter die Wage hält, i&#x017F;t die Schwere<lb/>
Deiner Schuld wie die Flaumfeder, die in der Luft<lb/>
&#x017F;ich wiegt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Welt i&#x017F;t kein gerechter Richter; &#x017F;ie wägt<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[282/0292] bald zu Ende.“ — „Dann kommt zuletzt doch noch Einer, der erſte Beſte, ſetzte die Andre tröſtend hinzu. Und unter der Haube iſt unter der Haube.“ „Warum hört Adelheid auf das Geſchnatter!“ „Weil ich es hinter ihrem geſchloſſenen Munde leſen würde. Ja, ich bin eine Gebrandmarkte — erſchrick nicht, Louis, vor dem Wort, es iſt nicht ſo übel, es ſind viele Beſſere als ich, ich könnte zuwei¬ len ſogar ſtolz darauf ſein. So ſtolz, daß ich auch meine Gleichen ſuche. Brauchſt Du noch Beruhi¬ gung um Deinen Freund, ſo wiſſe, ich hätte jetzt Waltern nicht mehr die Hand gereicht. Er war mein Mentor, mein Schutzengel, er hob mich, ihm danke ich, daß ich nicht unterging in dem Sumpfe; aber nun ſteht er mir auch ſo hoch da, daß ich den ſtil¬ len, reinen Strom ſeines Lebens durch meine Be¬ rührung nicht trüben, nicht ſtören darf und will. — Du biſt mein Retter. Wir haben uns nichts vorzu¬ werfen, wir ſind beide Fremde, Mißverſtandene, Ge¬ miedene, Ausgeſtoßene, und unſre Herzen ſchlagen zu einander. Das hinter uns laſſen wir ruhen, und blicken — wir flüchten beide — in eine beſſere Zu¬ kunft.“ „Wie Du ſelbſtquäleriſch Dich erniedrigſt, ſprach er, ihre Hand an ſein Herz drückend. Wenn der gerechte Richter die Wage hält, iſt die Schwere Deiner Schuld wie die Flaumfeder, die in der Luft ſich wiegt.“ „Die Welt iſt kein gerechter Richter; ſie wägt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/292
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/292>, abgerufen am 24.11.2024.