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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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durch die Büsche schoß. Sie nahmen es als ein
gutes Omen.

Adelheid führte ihren Freund auf dem Wege,
den vorhin Wandel genommen, durch das Souter¬
rain nach der Hofpforte. Als sie die steinerne Wen¬
deltreppe hinab waren, kam ihnen Lichtschein entge¬
gen. In der Mitte des Flurs lag eine Leiche, die
Diener hatten Kerzen darum angezündet. Sie starr¬
ten zurück. "Eine Leiche!" Adelheid unterdrückte
einen Schrei.

In dem Augenblick ward ihr Name oben von
der Fürstin gerufen. "Wir müssen scheiden!" --
"Bei einer Leiche! Das ist ein böses Omen, Adel¬
heid." -- "Ein gutes! rief sie an seinem Halse.
Auch der Tod soll uns nicht erschrecken, auch der Tod
nicht trennen!"

Die Fürstin war sehr blaß. Mit gläsernen,
durchwachten Augen starrte sie das junge Mädchen
an, aber nicht verwundert, sie noch wach zu finden.
Sie fragte auch nicht, woher sie komme. Es war
eine innere Bewegung, als sie Adelheid an sich
drückte und sie bat, bei ihr zu wachen, oder auf dem
Sopha zu schlafen. Sie hatte gelesen, das Buch
war ihr entfallen, und sie hatte böse Träume gehabt,
oder Visionen, wie sie sagte. Man sah, sie fürch¬
tete sich in der unheimlichen Einsamkeit des grauen¬
den Morgens. Adelheid wollte die Kammerfrau
wecken. Die Fürstin schüttelte den Kopf: "Thun Sie
es diesmal selbst mir zu Liebe." Sie zitterte heftig,

durch die Büſche ſchoß. Sie nahmen es als ein
gutes Omen.

Adelheid führte ihren Freund auf dem Wege,
den vorhin Wandel genommen, durch das Souter¬
rain nach der Hofpforte. Als ſie die ſteinerne Wen¬
deltreppe hinab waren, kam ihnen Lichtſchein entge¬
gen. In der Mitte des Flurs lag eine Leiche, die
Diener hatten Kerzen darum angezündet. Sie ſtarr¬
ten zurück. „Eine Leiche!“ Adelheid unterdrückte
einen Schrei.

In dem Augenblick ward ihr Name oben von
der Fürſtin gerufen. „Wir müſſen ſcheiden!“ —
„Bei einer Leiche! Das iſt ein böſes Omen, Adel¬
heid.“ — „Ein gutes! rief ſie an ſeinem Halſe.
Auch der Tod ſoll uns nicht erſchrecken, auch der Tod
nicht trennen!“

Die Fürſtin war ſehr blaß. Mit gläſernen,
durchwachten Augen ſtarrte ſie das junge Mädchen
an, aber nicht verwundert, ſie noch wach zu finden.
Sie fragte auch nicht, woher ſie komme. Es war
eine innere Bewegung, als ſie Adelheid an ſich
drückte und ſie bat, bei ihr zu wachen, oder auf dem
Sopha zu ſchlafen. Sie hatte geleſen, das Buch
war ihr entfallen, und ſie hatte böſe Träume gehabt,
oder Viſionen, wie ſie ſagte. Man ſah, ſie fürch¬
tete ſich in der unheimlichen Einſamkeit des grauen¬
den Morgens. Adelheid wollte die Kammerfrau
wecken. Die Fürſtin ſchüttelte den Kopf: „Thun Sie
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[296/0306] durch die Büſche ſchoß. Sie nahmen es als ein gutes Omen. Adelheid führte ihren Freund auf dem Wege, den vorhin Wandel genommen, durch das Souter¬ rain nach der Hofpforte. Als ſie die ſteinerne Wen¬ deltreppe hinab waren, kam ihnen Lichtſchein entge¬ gen. In der Mitte des Flurs lag eine Leiche, die Diener hatten Kerzen darum angezündet. Sie ſtarr¬ ten zurück. „Eine Leiche!“ Adelheid unterdrückte einen Schrei. In dem Augenblick ward ihr Name oben von der Fürſtin gerufen. „Wir müſſen ſcheiden!“ — „Bei einer Leiche! Das iſt ein böſes Omen, Adel¬ heid.“ — „Ein gutes! rief ſie an ſeinem Halſe. Auch der Tod ſoll uns nicht erſchrecken, auch der Tod nicht trennen!“ Die Fürſtin war ſehr blaß. Mit gläſernen, durchwachten Augen ſtarrte ſie das junge Mädchen an, aber nicht verwundert, ſie noch wach zu finden. Sie fragte auch nicht, woher ſie komme. Es war eine innere Bewegung, als ſie Adelheid an ſich drückte und ſie bat, bei ihr zu wachen, oder auf dem Sopha zu ſchlafen. Sie hatte geleſen, das Buch war ihr entfallen, und ſie hatte böſe Träume gehabt, oder Viſionen, wie ſie ſagte. Man ſah, ſie fürch¬ tete ſich in der unheimlichen Einſamkeit des grauen¬ den Morgens. Adelheid wollte die Kammerfrau wecken. Die Fürſtin ſchüttelte den Kopf: „Thun Sie es diesmal ſelbſt mir zu Liebe.“ Sie zitterte heftig,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/306>, abgerufen am 24.11.2024.