Mit solcher Aufopferung, Entsagung, solchem Fana¬ tismus hat mich keine geliebt. Um deswillen ver¬ sprach ich Dir, was Du in der Fieberhitze des Todten¬ bettes fordertest -- das letzte heilige Gelöbniß, Dich auch im Tode nicht von mir zu lassen. Vernünftige Menschen würden es eine unsinnige Plackerei nennen! Ich habe Dich verstanden -- nicht Dein Geist, das ist eben Alfanzerei! -- aber Deine Materie, was sich von Dir erhalten ließ, soll mich umschweben. Ein bescheidener Platz am Nagel. Nein, mehr. So hast Du meinen Muth geliebt, der sich nicht scheute, Dich schneller ausleben zu lassen, Du wolltest, daß ich an diesem Anblick die Nerven immer mehr stähle, wenn sie schwach würden, immer mehr Herr über jene Em¬ pfindungen würde, die der Mensch sein Erbtheil nennt. Wenn Du Deine Augen aufschlagen könntest! Wie hat das Recipe gewirkt. Ich schüttle Deine Hand, klapperndes Gebein. Ich fürchte mich nicht vor Dir, vor nichts!
Und doch schienen seine Kniee beim Niedersetzen nicht ganz so fest, als das Todtengerippe an der Wand noch hin und her rasselte, bis es die vorige Ruhe gewonnen. Er biß sich in die Lippen. Dann schlug er das Auge zum andern Bilde auf:
Die Schelmin! -- Noch sehe ich Dich, Du aller¬ liebstes Geschöpf, wie ich Dich am Schlüsselloch er¬ tappte. War es denn Lüge, als ich Dir die Kehle zuhielt und den Mund mit Küssen erstickte. Ich liebte Dich ja, das war Wahrheit. Nur Dir zu Liebe
Mit ſolcher Aufopferung, Entſagung, ſolchem Fana¬ tismus hat mich keine geliebt. Um deswillen ver¬ ſprach ich Dir, was Du in der Fieberhitze des Todten¬ bettes forderteſt — das letzte heilige Gelöbniß, Dich auch im Tode nicht von mir zu laſſen. Vernünftige Menſchen würden es eine unſinnige Plackerei nennen! Ich habe Dich verſtanden — nicht Dein Geiſt, das iſt eben Alfanzerei! — aber Deine Materie, was ſich von Dir erhalten ließ, ſoll mich umſchweben. Ein beſcheidener Platz am Nagel. Nein, mehr. So haſt Du meinen Muth geliebt, der ſich nicht ſcheute, Dich ſchneller ausleben zu laſſen, Du wollteſt, daß ich an dieſem Anblick die Nerven immer mehr ſtähle, wenn ſie ſchwach würden, immer mehr Herr über jene Em¬ pfindungen würde, die der Menſch ſein Erbtheil nennt. Wenn Du Deine Augen aufſchlagen könnteſt! Wie hat das Recipe gewirkt. Ich ſchüttle Deine Hand, klapperndes Gebein. Ich fürchte mich nicht vor Dir, vor nichts!
Und doch ſchienen ſeine Kniee beim Niederſetzen nicht ganz ſo feſt, als das Todtengerippe an der Wand noch hin und her raſſelte, bis es die vorige Ruhe gewonnen. Er biß ſich in die Lippen. Dann ſchlug er das Auge zum andern Bilde auf:
Die Schelmin! — Noch ſehe ich Dich, Du aller¬ liebſtes Geſchöpf, wie ich Dich am Schlüſſelloch er¬ tappte. War es denn Lüge, als ich Dir die Kehle zuhielt und den Mund mit Küſſen erſtickte. Ich liebte Dich ja, das war Wahrheit. Nur Dir zu Liebe
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Mit ſolcher Aufopferung, Entſagung, ſolchem Fana¬
tismus hat mich keine geliebt. Um deswillen ver¬
ſprach ich Dir, was Du in der Fieberhitze des Todten¬
bettes forderteſt — das letzte heilige Gelöbniß, Dich
auch im Tode nicht von mir zu laſſen. Vernünftige
Menſchen würden es eine unſinnige Plackerei nennen!
Ich habe Dich verſtanden — nicht Dein Geiſt, das
iſt eben Alfanzerei! — aber Deine Materie, was
ſich von Dir erhalten ließ, ſoll mich umſchweben. Ein
beſcheidener Platz am Nagel. Nein, mehr. So haſt
Du meinen Muth geliebt, der ſich nicht ſcheute, Dich
ſchneller ausleben zu laſſen, Du wollteſt, daß ich an
dieſem Anblick die Nerven immer mehr ſtähle, wenn
ſie ſchwach würden, immer mehr Herr über jene Em¬
pfindungen würde, die der Menſch ſein Erbtheil nennt.
Wenn Du Deine Augen aufſchlagen könnteſt! Wie
hat das Recipe gewirkt. Ich ſchüttle Deine Hand,
klapperndes Gebein. Ich fürchte mich nicht vor Dir,
vor nichts!
Und doch ſchienen ſeine Kniee beim Niederſetzen
nicht ganz ſo feſt, als das Todtengerippe an der
Wand noch hin und her raſſelte, bis es die vorige
Ruhe gewonnen. Er biß ſich in die Lippen. Dann
ſchlug er das Auge zum andern Bilde auf:
Die Schelmin! — Noch ſehe ich Dich, Du aller¬
liebſtes Geſchöpf, wie ich Dich am Schlüſſelloch er¬
tappte. War es denn Lüge, als ich Dir die Kehle
zuhielt und den Mund mit Küſſen erſtickte. Ich liebte
Dich ja, das war Wahrheit. Nur Dir zu Liebe
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/312>, abgerufen am 24.11.2024.
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