Du warst mir sehr gleichgültig geworden, und mir entging darum eine schöne Irländerin, auf die ich mein Aug' geworfen. Nachher schwiegst Du nicht -- Du schriebst einen Brief -- Du schriebst Dir selbst Dein Urtheil -- darüber kannst Du nicht klagen. Aber ich --
Er verzog das Gesicht und ballte die Faust ge¬ gen das Bild: Der Brief -- den ich fand, ist zu Aschenstäubchen aufgelodert, aber es stand darin von einem andern Briefe, der meiner Wachsamkeit ent¬ schlüpft war -- Molly! Molly! -- Sein Gesicht be¬ kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne fletschten zwischen den zurückgekniffenen Lippen wie die Hauer eines Ebers, die Augen sprühten das grün¬ liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬ mus der Wuth und Angst war schnell vorüber, die aschgraue Urnenruhe lagerte sich wieder auf dem gelben Gesichte, die Finger entklammerten sich. -- Possen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum Vorschein gekommen! Feuer -- Regengüsse -- Feuch¬ tigkeit -- Staub und dünnes Briefpapier! -- Lacht Ihr, daß ich mich noch zuweilen ängstigen kann! -- Mes dames! was wollen Sie? Ich beweise Ihnen ja das vollste Vertrauen -- Ja, Sie sehen Alles. Sie brauchen jetzt durch kein Schlüsselloch zu obser¬ viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Gesicht. Was verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? -- Mes dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce que vous voyez n'est que moutarde apres deiner, rien qu'un dessert maigre apres un repas delicieux. --
Du warſt mir ſehr gleichgültig geworden, und mir entging darum eine ſchöne Irländerin, auf die ich mein Aug' geworfen. Nachher ſchwiegſt Du nicht — Du ſchriebſt einen Brief — Du ſchriebſt Dir ſelbſt Dein Urtheil — darüber kannſt Du nicht klagen. Aber ich —
Er verzog das Geſicht und ballte die Fauſt ge¬ gen das Bild: Der Brief — den ich fand, iſt zu Aſchenſtäubchen aufgelodert, aber es ſtand darin von einem andern Briefe, der meiner Wachſamkeit ent¬ ſchlüpft war — Molly! Molly! — Sein Geſicht be¬ kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne fletſchten zwiſchen den zurückgekniffenen Lippen wie die Hauer eines Ebers, die Augen ſprühten das grün¬ liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬ mus der Wuth und Angſt war ſchnell vorüber, die aſchgraue Urnenruhe lagerte ſich wieder auf dem gelben Geſichte, die Finger entklammerten ſich. — Poſſen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum Vorſchein gekommen! Feuer — Regengüſſe — Feuch¬ tigkeit — Staub und dünnes Briefpapier! — Lacht Ihr, daß ich mich noch zuweilen ängſtigen kann! — Mes dames! was wollen Sie? Ich beweiſe Ihnen ja das vollſte Vertrauen — Ja, Sie ſehen Alles. Sie brauchen jetzt durch kein Schlüſſelloch zu obſer¬ viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Geſicht. Was verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? — Mes dames de Bruckerode, je vous assure, que tout ce que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien qu'un dessert maigre après un repas délicieux. —
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Du warſt mir ſehr gleichgültig geworden, und mir
entging darum eine ſchöne Irländerin, auf die ich
mein Aug' geworfen. Nachher ſchwiegſt Du nicht —
Du ſchriebſt einen Brief — Du ſchriebſt Dir ſelbſt Dein
Urtheil — darüber kannſt Du nicht klagen. Aber ich —
Er verzog das Geſicht und ballte die Fauſt ge¬
gen das Bild: Der Brief — den ich fand, iſt zu
Aſchenſtäubchen aufgelodert, aber es ſtand darin von
einem andern Briefe, der meiner Wachſamkeit ent¬
ſchlüpft war — Molly! Molly! — Sein Geſicht be¬
kam einen furchtbar häßlichen Ausdruck; die Zähne
fletſchten zwiſchen den zurückgekniffenen Lippen wie die
Hauer eines Ebers, die Augen ſprühten das grün¬
liche Feuer einer wilden Katze. Aber der Paroxys¬
mus der Wuth und Angſt war ſchnell vorüber, die
aſchgraue Urnenruhe lagerte ſich wieder auf dem
gelben Geſichte, die Finger entklammerten ſich. —
Poſſen! In einem Dutzend Jahren und nicht zum
Vorſchein gekommen! Feuer — Regengüſſe — Feuch¬
tigkeit — Staub und dünnes Briefpapier! — Lacht
Ihr, daß ich mich noch zuweilen ängſtigen kann! —
Mes dames! was wollen Sie? Ich beweiſe Ihnen
ja das vollſte Vertrauen — Ja, Sie ſehen Alles.
Sie brauchen jetzt durch kein Schlüſſelloch zu obſer¬
viren, ich verhänge nicht einmal Ihr Geſicht. Was
verlangen Sie mehr? Einige Galanterie? — Mes
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que vous voyez n'est que moutarde après dîner, rien
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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