"Wie ist das möglich! Sie selbst sagten, die Ausgabe wäre nicht mehr aufzutreiben."
"Um einem Sterbenden einen letzten heitern Augenblick zu machen, dünkt mich, ist Alles möglich und -- erlaubt."
"Erlaubt!" wiederholte die Lupinus betonend, und blickte ihn fragend an.
"Es thut mir leid, daß Sie nicht zugegen wa¬ ren. Wie seine Augen aufblitzten; er traute ihnen kaum, und hatte auch gewissermaßen Recht. Bekannt¬ lich ward diese Ausgabe in Leyden während der schweren Belagerung der Stadt gedruckt. Die Setzer waren einer nach dem andern auf den Mauern ge¬ fallen. Die Typen wurden zu Kugeln umgeschmol¬ zen. Aber der Factor, der Letzte in der Druckerei, hatte selbst sein Letztes daran gesetzt, diesen Horaz, die Ehre der Officin, zu vollenden. Mochte dann die Freiheit, der Protestantismus, Holland, die Stadt Leyden untergehen, wenn nur die Leydener Horaz¬ ausgabe für die Nachwelt lebte. Von allen seinen Typen, die schon als Kugeln um die Schanzen pfiffen, hatte er nur soviel sich losgebettelt, um den Titel noch zu drucken, er selbst Setzer, Drucker. Da, im Vor¬ gefühl seines Schicksals, setzte er unter die Jahreszahl und das Wort Leyden einen kleinen Todtenkopf. Nur eine geringe Zahl Exemplare hatte er abgezogen, da verließen ihn die Kräfte. Er sank um, mehr vom Hunger als von der Arbeit erschöpft. Die Soldaten
„Und jetzt hat er ſie.“
„Wie iſt das möglich! Sie ſelbſt ſagten, die Ausgabe wäre nicht mehr aufzutreiben.“
„Um einem Sterbenden einen letzten heitern Augenblick zu machen, dünkt mich, iſt Alles möglich und — erlaubt.“
„Erlaubt!“ wiederholte die Lupinus betonend, und blickte ihn fragend an.
„Es thut mir leid, daß Sie nicht zugegen wa¬ ren. Wie ſeine Augen aufblitzten; er traute ihnen kaum, und hatte auch gewiſſermaßen Recht. Bekannt¬ lich ward dieſe Ausgabe in Leyden während der ſchweren Belagerung der Stadt gedruckt. Die Setzer waren einer nach dem andern auf den Mauern ge¬ fallen. Die Typen wurden zu Kugeln umgeſchmol¬ zen. Aber der Factor, der Letzte in der Druckerei, hatte ſelbſt ſein Letztes daran geſetzt, dieſen Horaz, die Ehre der Officin, zu vollenden. Mochte dann die Freiheit, der Proteſtantismus, Holland, die Stadt Leyden untergehen, wenn nur die Leydener Horaz¬ ausgabe für die Nachwelt lebte. Von allen ſeinen Typen, die ſchon als Kugeln um die Schanzen pfiffen, hatte er nur ſoviel ſich losgebettelt, um den Titel noch zu drucken, er ſelbſt Setzer, Drucker. Da, im Vor¬ gefühl ſeines Schickſals, ſetzte er unter die Jahreszahl und das Wort Leyden einen kleinen Todtenkopf. Nur eine geringe Zahl Exemplare hatte er abgezogen, da verließen ihn die Kräfte. Er ſank um, mehr vom Hunger als von der Arbeit erſchöpft. Die Soldaten
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„Und jetzt hat er ſie.“
„Wie iſt das möglich! Sie ſelbſt ſagten, die
Ausgabe wäre nicht mehr aufzutreiben.“
„Um einem Sterbenden einen letzten heitern
Augenblick zu machen, dünkt mich, iſt Alles möglich
und — erlaubt.“
„Erlaubt!“ wiederholte die Lupinus betonend,
und blickte ihn fragend an.
„Es thut mir leid, daß Sie nicht zugegen wa¬
ren. Wie ſeine Augen aufblitzten; er traute ihnen
kaum, und hatte auch gewiſſermaßen Recht. Bekannt¬
lich ward dieſe Ausgabe in Leyden während der
ſchweren Belagerung der Stadt gedruckt. Die Setzer
waren einer nach dem andern auf den Mauern ge¬
fallen. Die Typen wurden zu Kugeln umgeſchmol¬
zen. Aber der Factor, der Letzte in der Druckerei,
hatte ſelbſt ſein Letztes daran geſetzt, dieſen Horaz,
die Ehre der Officin, zu vollenden. Mochte dann
die Freiheit, der Proteſtantismus, Holland, die Stadt
Leyden untergehen, wenn nur die Leydener Horaz¬
ausgabe für die Nachwelt lebte. Von allen ſeinen
Typen, die ſchon als Kugeln um die Schanzen pfiffen,
hatte er nur ſoviel ſich losgebettelt, um den Titel noch
zu drucken, er ſelbſt Setzer, Drucker. Da, im Vor¬
gefühl ſeines Schickſals, ſetzte er unter die Jahreszahl
und das Wort Leyden einen kleinen Todtenkopf. Nur
eine geringe Zahl Exemplare hatte er abgezogen, da
verließen ihn die Kräfte. Er ſank um, mehr vom
Hunger als von der Arbeit erſchöpft. Die Soldaten
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/341>, abgerufen am 24.11.2024.
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