wird! Reine Vermuthungen von mir. Nur in Ihrem Interesse, ein Freund stellt sich oft das Schlimmste vor. Denn wer in aller Welt draußen wird auf die Ver¬ muthung kommen, weil in diesem Hause so kurz hinter einander bedenkliche Todesfälle eingetreten sind, daß hier eine ungesunde Luft ist, aus irgend einer nicht ergründe¬ ten Ursache. Die Polizei hat jetzt an Anderes zu denken."
"Aber wenn -- wenn sie daran dächte!"
"Da sind tausend Möglichkeiten, wie man ihr ein X für ein U macht."
"Aber wenn man Sie --"
"Sie meinen, wenn man mich als Zeugen auf¬ riefe. Frau Geheimräthin, das ist eigentlich eine Beleidigung. Zweifeln Sie, daß ich gegen mein Herz reden, und nicht meine höchste Achtung vor Ihrem Charakter aussprechen würde?"
"Nach meinem Charakter würde man nicht fragen."
"Man wird Thatsachen fordern. Was kann ich denn über Thatsachen aussagen! Daß die Kinder näschig waren, daß sie zugriffen, wo sie nicht soll¬ ten; daß sie in ihrer Naschgier eine schädliche Speise vom höchsten Küchenbrett holten. Oder wird man mich inquiriren, ob ich den Geruch in der Kranken¬ stube abscheulich fand? Da würden die Experten sich nicht mit Meinungen befassen. -- Doch, was ich Ihnen zu sagen vergaß, es war sehr klug, daß Sie dem todten Johann den Blumenkranz so tief in die Stirn drückten. Da kam ein häßlicher blauer Fleck über der Schläfe zum Vorschein --"
wird! Reine Vermuthungen von mir. Nur in Ihrem Intereſſe, ein Freund ſtellt ſich oft das Schlimmſte vor. Denn wer in aller Welt draußen wird auf die Ver¬ muthung kommen, weil in dieſem Hauſe ſo kurz hinter einander bedenkliche Todesfälle eingetreten ſind, daß hier eine ungeſunde Luft iſt, aus irgend einer nicht ergründe¬ ten Urſache. Die Polizei hat jetzt an Anderes zu denken.“
„Aber wenn — wenn ſie daran dächte!“
„Da ſind tauſend Möglichkeiten, wie man ihr ein X für ein U macht.“
„Aber wenn man Sie —“
„Sie meinen, wenn man mich als Zeugen auf¬ riefe. Frau Geheimräthin, das iſt eigentlich eine Beleidigung. Zweifeln Sie, daß ich gegen mein Herz reden, und nicht meine höchſte Achtung vor Ihrem Charakter ausſprechen würde?“
„Nach meinem Charakter würde man nicht fragen.“
„Man wird Thatſachen fordern. Was kann ich denn über Thatſachen ausſagen! Daß die Kinder näſchig waren, daß ſie zugriffen, wo ſie nicht ſoll¬ ten; daß ſie in ihrer Naſchgier eine ſchädliche Speiſe vom höchſten Küchenbrett holten. Oder wird man mich inquiriren, ob ich den Geruch in der Kranken¬ ſtube abſcheulich fand? Da würden die Experten ſich nicht mit Meinungen befaſſen. — Doch, was ich Ihnen zu ſagen vergaß, es war ſehr klug, daß Sie dem todten Johann den Blumenkranz ſo tief in die Stirn drückten. Da kam ein häßlicher blauer Fleck über der Schläfe zum Vorſchein —“
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0353"n="343"/>
wird! Reine Vermuthungen von mir. Nur in Ihrem<lb/>
Intereſſe, ein Freund ſtellt ſich oft das Schlimmſte vor.<lb/>
Denn wer in aller Welt draußen wird auf die Ver¬<lb/>
muthung kommen, weil in dieſem Hauſe ſo kurz hinter<lb/>
einander bedenkliche Todesfälle eingetreten ſind, daß hier<lb/>
eine ungeſunde Luft iſt, aus irgend einer nicht ergründe¬<lb/>
ten Urſache. Die Polizei hat jetzt an Anderes zu denken.“</p><lb/><p>„Aber wenn — wenn ſie daran dächte!“</p><lb/><p>„Da ſind tauſend Möglichkeiten, wie man ihr<lb/>
ein X für ein U macht.“</p><lb/><p>„Aber wenn man Sie —“</p><lb/><p>„Sie meinen, wenn man mich als Zeugen auf¬<lb/>
riefe. Frau Geheimräthin, das iſt eigentlich eine<lb/>
Beleidigung. Zweifeln Sie, daß ich gegen mein Herz<lb/>
reden, und nicht meine höchſte Achtung vor Ihrem<lb/>
Charakter ausſprechen würde?“</p><lb/><p>„Nach meinem Charakter würde man nicht fragen.“</p><lb/><p>„Man wird Thatſachen fordern. Was kann ich<lb/>
denn über Thatſachen ausſagen! Daß die Kinder<lb/>
näſchig waren, daß ſie zugriffen, wo ſie nicht ſoll¬<lb/>
ten; daß ſie in ihrer Naſchgier eine ſchädliche Speiſe<lb/>
vom höchſten Küchenbrett holten. Oder wird man<lb/>
mich inquiriren, ob ich den Geruch in der Kranken¬<lb/>ſtube abſcheulich fand? Da würden die Experten<lb/>ſich nicht mit Meinungen befaſſen. — Doch, was ich<lb/>
Ihnen zu ſagen vergaß, es war ſehr klug, daß Sie<lb/>
dem todten Johann den Blumenkranz ſo tief in<lb/>
die Stirn drückten. Da kam ein häßlicher blauer<lb/>
Fleck über der Schläfe zum Vorſchein —“<lb/></p></div></body></text></TEI>
[343/0353]
wird! Reine Vermuthungen von mir. Nur in Ihrem
Intereſſe, ein Freund ſtellt ſich oft das Schlimmſte vor.
Denn wer in aller Welt draußen wird auf die Ver¬
muthung kommen, weil in dieſem Hauſe ſo kurz hinter
einander bedenkliche Todesfälle eingetreten ſind, daß hier
eine ungeſunde Luft iſt, aus irgend einer nicht ergründe¬
ten Urſache. Die Polizei hat jetzt an Anderes zu denken.“
„Aber wenn — wenn ſie daran dächte!“
„Da ſind tauſend Möglichkeiten, wie man ihr
ein X für ein U macht.“
„Aber wenn man Sie —“
„Sie meinen, wenn man mich als Zeugen auf¬
riefe. Frau Geheimräthin, das iſt eigentlich eine
Beleidigung. Zweifeln Sie, daß ich gegen mein Herz
reden, und nicht meine höchſte Achtung vor Ihrem
Charakter ausſprechen würde?“
„Nach meinem Charakter würde man nicht fragen.“
„Man wird Thatſachen fordern. Was kann ich
denn über Thatſachen ausſagen! Daß die Kinder
näſchig waren, daß ſie zugriffen, wo ſie nicht ſoll¬
ten; daß ſie in ihrer Naſchgier eine ſchädliche Speiſe
vom höchſten Küchenbrett holten. Oder wird man
mich inquiriren, ob ich den Geruch in der Kranken¬
ſtube abſcheulich fand? Da würden die Experten
ſich nicht mit Meinungen befaſſen. — Doch, was ich
Ihnen zu ſagen vergaß, es war ſehr klug, daß Sie
dem todten Johann den Blumenkranz ſo tief in
die Stirn drückten. Da kam ein häßlicher blauer
Fleck über der Schläfe zum Vorſchein —“
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/353>, abgerufen am 23.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.