ren. Vielleicht -- ich sage, es ist möglich, daß er jetzt in der Stille die Hände vor seinem Bilde, näm¬ lich im Spiegel, faltet, auch vielleicht ein Kreuz schlägt, und aus tiefer Brust seufzt: Ich bin ja nur sein unwürdiges Werkzeug! Gegen letzteres wird denn wohl Niemand etwas einzuwenden haben."
"Incorrigibler!" sagte die Fürstin und gab ihm einen leichten Schlag mit dem ausgezogenen Hand¬ schuh, um doch wieder sinnend vor sich niederzublicken:
"Und doch, wäre es ein Wesen von Fleisch und Blut, dieses Preußen, ich könnte es beneiden um die Empfindung. So zerknirscht in Demuth niederzufal¬ len in den Staub, an die Brust zu schlagen und zum Herrn zu rufen: Strafe mich um meinen Dünkel und meine Ueberhebung. Das sind die Früchte meiner Saaten, daß ich mich auflehnte gegen Deine Satzung! -- Ach nein, sie kennen nicht die Wollust der De¬ muth und Zerknirschung, sie sind alle noch aus Frie¬ drichs Schule, schlechte Schulknaben, sie beten nicht den Herrn, nur ihren Witz an, und sein Gespenst seh ich umherschleichen -- das muß eine furchtbare -- die fürchterlichste Strafe des Himmels sein: so sein Werk zertrümmert, seine Schöpfung verhöhnt, sein Geist zum Pasquill -- und keiner den Muth, in ihrer Erniedrigung die Arme zu erheben: "Herr, er¬ barme Dich unser!"
Herr von Wandel kannte die Fürstin -- auch ihre temporellen Visionen. Sie genirten ihn nicht. Die liebenswürdige Frau liebte nicht die Gene. Er
ren. Vielleicht — ich ſage, es iſt möglich, daß er jetzt in der Stille die Hände vor ſeinem Bilde, näm¬ lich im Spiegel, faltet, auch vielleicht ein Kreuz ſchlägt, und aus tiefer Bruſt ſeufzt: Ich bin ja nur ſein unwürdiges Werkzeug! Gegen letzteres wird denn wohl Niemand etwas einzuwenden haben.“
„Incorrigibler!“ ſagte die Fürſtin und gab ihm einen leichten Schlag mit dem ausgezogenen Hand¬ ſchuh, um doch wieder ſinnend vor ſich niederzublicken:
„Und doch, wäre es ein Weſen von Fleiſch und Blut, dieſes Preußen, ich könnte es beneiden um die Empfindung. So zerknirſcht in Demuth niederzufal¬ len in den Staub, an die Bruſt zu ſchlagen und zum Herrn zu rufen: Strafe mich um meinen Dünkel und meine Ueberhebung. Das ſind die Früchte meiner Saaten, daß ich mich auflehnte gegen Deine Satzung! — Ach nein, ſie kennen nicht die Wolluſt der De¬ muth und Zerknirſchung, ſie ſind alle noch aus Frie¬ drichs Schule, ſchlechte Schulknaben, ſie beten nicht den Herrn, nur ihren Witz an, und ſein Geſpenſt ſeh ich umherſchleichen — das muß eine furchtbare — die fürchterlichſte Strafe des Himmels ſein: ſo ſein Werk zertrümmert, ſeine Schöpfung verhöhnt, ſein Geiſt zum Pasquill — und keiner den Muth, in ihrer Erniedrigung die Arme zu erheben: „Herr, er¬ barme Dich unſer!“
Herr von Wandel kannte die Fürſtin — auch ihre temporellen Viſionen. Sie genirten ihn nicht. Die liebenswürdige Frau liebte nicht die Gêne. Er
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ren. Vielleicht — ich ſage, es iſt möglich, daß er
jetzt in der Stille die Hände vor ſeinem Bilde, näm¬
lich im Spiegel, faltet, auch vielleicht ein Kreuz
ſchlägt, und aus tiefer Bruſt ſeufzt: Ich bin ja nur
ſein unwürdiges Werkzeug! Gegen letzteres wird
denn wohl Niemand etwas einzuwenden haben.“
„Incorrigibler!“ ſagte die Fürſtin und gab ihm
einen leichten Schlag mit dem ausgezogenen Hand¬
ſchuh, um doch wieder ſinnend vor ſich niederzublicken:
„Und doch, wäre es ein Weſen von Fleiſch und
Blut, dieſes Preußen, ich könnte es beneiden um die
Empfindung. So zerknirſcht in Demuth niederzufal¬
len in den Staub, an die Bruſt zu ſchlagen und zum
Herrn zu rufen: Strafe mich um meinen Dünkel und
meine Ueberhebung. Das ſind die Früchte meiner
Saaten, daß ich mich auflehnte gegen Deine Satzung!
— Ach nein, ſie kennen nicht die Wolluſt der De¬
muth und Zerknirſchung, ſie ſind alle noch aus Frie¬
drichs Schule, ſchlechte Schulknaben, ſie beten nicht
den Herrn, nur ihren Witz an, und ſein Geſpenſt
ſeh ich umherſchleichen — das muß eine furchtbare
— die fürchterlichſte Strafe des Himmels ſein: ſo
ſein Werk zertrümmert, ſeine Schöpfung verhöhnt,
ſein Geiſt zum Pasquill — und keiner den Muth, in
ihrer Erniedrigung die Arme zu erheben: „Herr, er¬
barme Dich unſer!“
Herr von Wandel kannte die Fürſtin — auch
ihre temporellen Viſionen. Sie genirten ihn nicht.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/41>, abgerufen am 21.11.2024.
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