Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Ach, ich weiß Jemand, der würde sich zuknöpfen,
wenn man ihm ins Herz sehn wollte!"

"Wer ist das?" Wandel schien über diese Wen¬
dung des Gesprächs noch weniger erfreut.

"Sie sind ein guter Mensch, Herr von Wandel, aber
voller Finten. Reden Sie sich ja nicht aus, ich weiß es."

Er hatte ihre schöne Hand, die über der Divan¬
lehne lag, erfaßt und drückte sie sanft an die Lippen.
"Könnten Sie in dies Herz schauen! sprach er
seufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬
merhin! Finten sind Spitzen, aber es sind blutende
Spitzen, Dolchstiche, Dornen, die Andre hinein ge¬
drückt. Da ist der einzige, aber ein süßer Trost, daß
um diese Dornen Rosen blühten."

Sie hatte die Hand ruhig seinen Küssen über¬
lassen, und schien verwundert, als er plötzlich aufstand
und den Stuhl wegsetzte.

"Wohin wollen Sie denn?"

"Nach dem Lande, wo keine Rosen blühen."

"Jetzt doch nicht gleich?"

"Ich bin keine Stunde sicher, daß nicht die Pässe
und Anweisungen aus Petersburg eintreffen, und dann
darf meines Verweilens nicht mehr lange sein. Die
Academie in Petersburg hat zu meiner Beschämung
eine so dringende Vorstellung an Seine Majestät den
Kaiser gerichtet, die Untersuchung der Bergwerke für so
wichtig erklärt, und meine geringen Kenntnisse so hoch an¬
geschlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬
vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte."

„Ach, ich weiß Jemand, der würde ſich zuknöpfen,
wenn man ihm ins Herz ſehn wollte!“

„Wer iſt das?“ Wandel ſchien über dieſe Wen¬
dung des Geſprächs noch weniger erfreut.

„Sie ſind ein guter Menſch, Herr von Wandel, aber
voller Finten. Reden Sie ſich ja nicht aus, ich weiß es.“

Er hatte ihre ſchöne Hand, die über der Divan¬
lehne lag, erfaßt und drückte ſie ſanft an die Lippen.
„Könnten Sie in dies Herz ſchauen! ſprach er
ſeufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬
merhin! Finten ſind Spitzen, aber es ſind blutende
Spitzen, Dolchſtiche, Dornen, die Andre hinein ge¬
drückt. Da iſt der einzige, aber ein ſüßer Troſt, daß
um dieſe Dornen Roſen blühten.“

Sie hatte die Hand ruhig ſeinen Küſſen über¬
laſſen, und ſchien verwundert, als er plötzlich aufſtand
und den Stuhl wegſetzte.

„Wohin wollen Sie denn?“

„Nach dem Lande, wo keine Roſen blühen.“

„Jetzt doch nicht gleich?“

„Ich bin keine Stunde ſicher, daß nicht die Päſſe
und Anweiſungen aus Petersburg eintreffen, und dann
darf meines Verweilens nicht mehr lange ſein. Die
Academie in Petersburg hat zu meiner Beſchämung
eine ſo dringende Vorſtellung an Seine Majeſtät den
Kaiſer gerichtet, die Unterſuchung der Bergwerke für ſo
wichtig erklärt, und meine geringen Kenntniſſe ſo hoch an¬
geſchlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬
vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0048" n="38"/>
        <p>&#x201E;Ach, ich weiß Jemand, der würde &#x017F;ich zuknöpfen,<lb/>
wenn man ihm ins Herz &#x017F;ehn wollte!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wer i&#x017F;t das?&#x201C; Wandel &#x017F;chien über die&#x017F;e Wen¬<lb/>
dung des Ge&#x017F;prächs noch weniger erfreut.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;ind ein guter Men&#x017F;ch, Herr von Wandel, aber<lb/>
voller Finten. Reden Sie &#x017F;ich ja nicht aus, ich weiß es.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er hatte ihre &#x017F;chöne Hand, die über der Divan¬<lb/>
lehne lag, erfaßt und drückte &#x017F;ie &#x017F;anft an die Lippen.<lb/>
&#x201E;Könnten Sie in dies Herz &#x017F;chauen! &#x017F;prach er<lb/>
&#x017F;eufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬<lb/>
merhin! Finten &#x017F;ind Spitzen, aber es &#x017F;ind blutende<lb/>
Spitzen, Dolch&#x017F;tiche, Dornen, die Andre hinein ge¬<lb/>
drückt. Da i&#x017F;t der einzige, aber ein &#x017F;üßer Tro&#x017F;t, daß<lb/>
um die&#x017F;e Dornen Ro&#x017F;en blühten.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie hatte die Hand ruhig &#x017F;einen Kü&#x017F;&#x017F;en über¬<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;chien verwundert, als er plötzlich auf&#x017F;tand<lb/>
und den Stuhl weg&#x017F;etzte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wohin wollen Sie denn?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nach dem Lande, wo keine Ro&#x017F;en blühen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jetzt doch nicht gleich?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bin keine Stunde &#x017F;icher, daß nicht die Pä&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Anwei&#x017F;ungen aus Petersburg eintreffen, und dann<lb/>
darf meines Verweilens nicht mehr lange &#x017F;ein. Die<lb/>
Academie in Petersburg hat zu meiner Be&#x017F;chämung<lb/>
eine &#x017F;o dringende Vor&#x017F;tellung an Seine Maje&#x017F;tät den<lb/>
Kai&#x017F;er gerichtet, die Unter&#x017F;uchung der Bergwerke für &#x017F;o<lb/>
wichtig erklärt, und meine geringen Kenntni&#x017F;&#x017F;e &#x017F;o hoch an¬<lb/>
ge&#x017F;chlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬<lb/>
vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[38/0048] „Ach, ich weiß Jemand, der würde ſich zuknöpfen, wenn man ihm ins Herz ſehn wollte!“ „Wer iſt das?“ Wandel ſchien über dieſe Wen¬ dung des Geſprächs noch weniger erfreut. „Sie ſind ein guter Menſch, Herr von Wandel, aber voller Finten. Reden Sie ſich ja nicht aus, ich weiß es.“ Er hatte ihre ſchöne Hand, die über der Divan¬ lehne lag, erfaßt und drückte ſie ſanft an die Lippen. „Könnten Sie in dies Herz ſchauen! ſprach er ſeufzend. Finten nennt es meine Freundin. Im¬ merhin! Finten ſind Spitzen, aber es ſind blutende Spitzen, Dolchſtiche, Dornen, die Andre hinein ge¬ drückt. Da iſt der einzige, aber ein ſüßer Troſt, daß um dieſe Dornen Roſen blühten.“ Sie hatte die Hand ruhig ſeinen Küſſen über¬ laſſen, und ſchien verwundert, als er plötzlich aufſtand und den Stuhl wegſetzte. „Wohin wollen Sie denn?“ „Nach dem Lande, wo keine Roſen blühen.“ „Jetzt doch nicht gleich?“ „Ich bin keine Stunde ſicher, daß nicht die Päſſe und Anweiſungen aus Petersburg eintreffen, und dann darf meines Verweilens nicht mehr lange ſein. Die Academie in Petersburg hat zu meiner Beſchämung eine ſo dringende Vorſtellung an Seine Majeſtät den Kaiſer gerichtet, die Unterſuchung der Bergwerke für ſo wichtig erklärt, und meine geringen Kenntniſſe ſo hoch an¬ geſchlagen, daß ich undankbar wäre, wenn ich dem ehren¬ vollen Rufe zu folgen nur einen Augenblick zauderte.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/48
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/48>, abgerufen am 23.11.2024.