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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

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Welt, wie Sie mich kennen gelernt. Mein unglück¬
licher Mann wird sterben, -- den täuschenden Trost
der Aerzte weiß ich zu würdigen -- er wird sterben,
und mich wird man anklagen. Man wird sagen, ja,
als es zum Aergsten kam, da schlug ihr das Gewis¬
sen, da pflegte sie ihn, da verließ sie ihn nicht bei
Tag und Nacht, da härmte sie sich ab. Warum nicht
früher? Und die klugen Leute haben Recht, denn der
Schein ist wider mich. Wer sieht denn hinein in
das geheime, zwanzigjährige Wehe eines zerrissenen
Herzens! Ich verbarg es der Welt; es hat Niemand
ein Recht, meine zerrissenen Schuldbücher nachzuschla¬
gen. Das Glück meines Lebens kostete mich der
Schein, die Rolle einer Befriedigten zu spielen. Wenn
ich nun aufschrie: er war nie mein Gatte! Nein,
mein Herr, ich ward ruhig, ich ward sehr ruhig. Sie
mögen mich eine Frau schelten, die um ihren Mann
sich erst kümmerte, als der Anstand forderte, auf sei¬
nem Todtenbett das Haar vor Schmerz zu raufen.
Ich will ihnen auch den Gefallen nicht thun; ich
will ihnen auch den Schein lassen, mich kalt, gefühl-
und herzlos zu schelten. Meine Trauer will ich in
mich verschließen, und eine stumme Bildsäule an sei¬
nem Sarge stehen, damit sie ein Räthsel mehr zu
lösen finden. Jeder mag es nach seiner Art. Sie,
Herr van Asten, kennen mich nun, in einer unbe¬
wachten Stunde schloß ich mein ganzes zerrüttetes
Sein vor Ihnen auf. -- Nun suchen Sie sich Com¬
pagnie, die Ihnen gefällt, unter Hohen und Niedern,

Welt, wie Sie mich kennen gelernt. Mein unglück¬
licher Mann wird ſterben, — den täuſchenden Troſt
der Aerzte weiß ich zu würdigen — er wird ſterben,
und mich wird man anklagen. Man wird ſagen, ja,
als es zum Aergſten kam, da ſchlug ihr das Gewiſ¬
ſen, da pflegte ſie ihn, da verließ ſie ihn nicht bei
Tag und Nacht, da härmte ſie ſich ab. Warum nicht
früher? Und die klugen Leute haben Recht, denn der
Schein iſt wider mich. Wer ſieht denn hinein in
das geheime, zwanzigjährige Wehe eines zerriſſenen
Herzens! Ich verbarg es der Welt; es hat Niemand
ein Recht, meine zerriſſenen Schuldbücher nachzuſchla¬
gen. Das Glück meines Lebens koſtete mich der
Schein, die Rolle einer Befriedigten zu ſpielen. Wenn
ich nun aufſchrie: er war nie mein Gatte! Nein,
mein Herr, ich ward ruhig, ich ward ſehr ruhig. Sie
mögen mich eine Frau ſchelten, die um ihren Mann
ſich erſt kümmerte, als der Anſtand forderte, auf ſei¬
nem Todtenbett das Haar vor Schmerz zu raufen.
Ich will ihnen auch den Gefallen nicht thun; ich
will ihnen auch den Schein laſſen, mich kalt, gefühl-
und herzlos zu ſchelten. Meine Trauer will ich in
mich verſchließen, und eine ſtumme Bildſäule an ſei¬
nem Sarge ſtehen, damit ſie ein Räthſel mehr zu
löſen finden. Jeder mag es nach ſeiner Art. Sie,
Herr van Aſten, kennen mich nun, in einer unbe¬
wachten Stunde ſchloß ich mein ganzes zerrüttetes
Sein vor Ihnen auf. — Nun ſuchen Sie ſich Com¬
pagnie, die Ihnen gefällt, unter Hohen und Niedern,

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[62/0072] Welt, wie Sie mich kennen gelernt. Mein unglück¬ licher Mann wird ſterben, — den täuſchenden Troſt der Aerzte weiß ich zu würdigen — er wird ſterben, und mich wird man anklagen. Man wird ſagen, ja, als es zum Aergſten kam, da ſchlug ihr das Gewiſ¬ ſen, da pflegte ſie ihn, da verließ ſie ihn nicht bei Tag und Nacht, da härmte ſie ſich ab. Warum nicht früher? Und die klugen Leute haben Recht, denn der Schein iſt wider mich. Wer ſieht denn hinein in das geheime, zwanzigjährige Wehe eines zerriſſenen Herzens! Ich verbarg es der Welt; es hat Niemand ein Recht, meine zerriſſenen Schuldbücher nachzuſchla¬ gen. Das Glück meines Lebens koſtete mich der Schein, die Rolle einer Befriedigten zu ſpielen. Wenn ich nun aufſchrie: er war nie mein Gatte! Nein, mein Herr, ich ward ruhig, ich ward ſehr ruhig. Sie mögen mich eine Frau ſchelten, die um ihren Mann ſich erſt kümmerte, als der Anſtand forderte, auf ſei¬ nem Todtenbett das Haar vor Schmerz zu raufen. Ich will ihnen auch den Gefallen nicht thun; ich will ihnen auch den Schein laſſen, mich kalt, gefühl- und herzlos zu ſchelten. Meine Trauer will ich in mich verſchließen, und eine ſtumme Bildſäule an ſei¬ nem Sarge ſtehen, damit ſie ein Räthſel mehr zu löſen finden. Jeder mag es nach ſeiner Art. Sie, Herr van Aſten, kennen mich nun, in einer unbe¬ wachten Stunde ſchloß ich mein ganzes zerrüttetes Sein vor Ihnen auf. — Nun ſuchen Sie ſich Com¬ pagnie, die Ihnen gefällt, unter Hohen und Niedern,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/72>, abgerufen am 04.12.2024.