Krankheit herauskommt." -- "Welche Krankheit?" -- "Die schwerste, die, welche man vor sich selbst verbirgt."
Sie liebt ihn doch, sagten die Empfindsamen, denn sie war immer blaß. Das blühende Colorit war verschwunden, die Rosenröthe, die sie überhauchte, ging so schnell vorüber, als sie plötzlich kam. Sie konnte unter andern blühenden jungen Mädchen wie eine Geistererscheinung aussehen. Klopfte man bei der Fürstin vorsichtig an, so schien sie überrascht von der Wahrnehmung. Sie hatte gar nichts bemerkt, da es ihr Princip sei, ein so vom Himmel sichtlich begün¬ stigtes Wesen ganz sich selbst zu überlassen. Schon die Beobachtung wirke störend ein auf eine so eigen¬ thümlich construirte Psyche. Freilich konnte auch sie dem, was zu Tage lag, ihr Auge nicht verschließen, aber sie hatte schnell die Erklärung gefunden. Adel¬ heid war enthusiastische Patriotin. Die Schmach des Vaterlandes drückte ihre Seele.
Und Adelheid bestätigte es ja mit Wort und That. Sie begriffe nicht, wie man Bovillard heißen könne! hatte sie einmal ausgerufen, als verlautete, daß der Kaiser der Franzosen dem Geheimrath Bo¬ villard eine Auszeichnung durch seinen Gesandten zu¬ kommen lassen. Jemand, der fein auf den Strauch klopfen wollte, hatte darauf erwiedert, der junge Bo¬ villard theile nicht die Meinungen seines Vaters. "Aber er schwärmt für Bonaparte's Größe!" hatte sie ruhig erwiedert und sich abgewandt.
Krankheit herauskommt.“ — „Welche Krankheit?“ — „Die ſchwerſte, die, welche man vor ſich ſelbſt verbirgt.“
Sie liebt ihn doch, ſagten die Empfindſamen, denn ſie war immer blaß. Das blühende Colorit war verſchwunden, die Roſenröthe, die ſie überhauchte, ging ſo ſchnell vorüber, als ſie plötzlich kam. Sie konnte unter andern blühenden jungen Mädchen wie eine Geiſtererſcheinung ausſehen. Klopfte man bei der Fürſtin vorſichtig an, ſo ſchien ſie überraſcht von der Wahrnehmung. Sie hatte gar nichts bemerkt, da es ihr Princip ſei, ein ſo vom Himmel ſichtlich begün¬ ſtigtes Weſen ganz ſich ſelbſt zu überlaſſen. Schon die Beobachtung wirke ſtörend ein auf eine ſo eigen¬ thümlich conſtruirte Pſyche. Freilich konnte auch ſie dem, was zu Tage lag, ihr Auge nicht verſchließen, aber ſie hatte ſchnell die Erklärung gefunden. Adel¬ heid war enthuſiaſtiſche Patriotin. Die Schmach des Vaterlandes drückte ihre Seele.
Und Adelheid beſtätigte es ja mit Wort und That. Sie begriffe nicht, wie man Bovillard heißen könne! hatte ſie einmal ausgerufen, als verlautete, daß der Kaiſer der Franzoſen dem Geheimrath Bo¬ villard eine Auszeichnung durch ſeinen Geſandten zu¬ kommen laſſen. Jemand, der fein auf den Strauch klopfen wollte, hatte darauf erwiedert, der junge Bo¬ villard theile nicht die Meinungen ſeines Vaters. „Aber er ſchwärmt für Bonaparte's Größe!“ hatte ſie ruhig erwiedert und ſich abgewandt.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0087"n="77"/>
Krankheit herauskommt.“—„Welche Krankheit?“<lb/>—„Die ſchwerſte, die, welche man vor ſich ſelbſt<lb/>
verbirgt.“</p><lb/><p>Sie liebt ihn doch, ſagten die Empfindſamen,<lb/>
denn ſie war immer blaß. Das blühende Colorit<lb/>
war verſchwunden, die Roſenröthe, die ſie überhauchte,<lb/>
ging ſo ſchnell vorüber, als ſie plötzlich kam. Sie<lb/>
konnte unter andern blühenden jungen Mädchen wie<lb/>
eine Geiſtererſcheinung ausſehen. Klopfte man bei der<lb/>
Fürſtin vorſichtig an, ſo ſchien ſie überraſcht von der<lb/>
Wahrnehmung. Sie hatte gar nichts bemerkt, da es<lb/>
ihr Princip ſei, ein ſo vom Himmel ſichtlich begün¬<lb/>ſtigtes Weſen ganz ſich ſelbſt zu überlaſſen. Schon<lb/>
die Beobachtung wirke ſtörend ein auf eine ſo eigen¬<lb/>
thümlich conſtruirte Pſyche. Freilich konnte auch ſie<lb/>
dem, was zu Tage lag, ihr Auge nicht verſchließen,<lb/>
aber ſie hatte ſchnell die Erklärung gefunden. Adel¬<lb/>
heid war enthuſiaſtiſche Patriotin. Die Schmach des<lb/>
Vaterlandes drückte ihre Seele.</p><lb/><p>Und Adelheid beſtätigte es ja mit Wort und<lb/>
That. Sie begriffe nicht, wie man Bovillard heißen<lb/>
könne! hatte ſie einmal ausgerufen, als verlautete,<lb/>
daß der Kaiſer der Franzoſen dem Geheimrath Bo¬<lb/>
villard eine Auszeichnung durch ſeinen Geſandten zu¬<lb/>
kommen laſſen. Jemand, der fein auf den Strauch<lb/>
klopfen wollte, hatte darauf erwiedert, der junge Bo¬<lb/>
villard theile nicht die Meinungen ſeines Vaters.<lb/>„Aber er ſchwärmt für Bonaparte's Größe!“ hatte ſie<lb/>
ruhig erwiedert und ſich abgewandt.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[77/0087]
Krankheit herauskommt.“ — „Welche Krankheit?“
— „Die ſchwerſte, die, welche man vor ſich ſelbſt
verbirgt.“
Sie liebt ihn doch, ſagten die Empfindſamen,
denn ſie war immer blaß. Das blühende Colorit
war verſchwunden, die Roſenröthe, die ſie überhauchte,
ging ſo ſchnell vorüber, als ſie plötzlich kam. Sie
konnte unter andern blühenden jungen Mädchen wie
eine Geiſtererſcheinung ausſehen. Klopfte man bei der
Fürſtin vorſichtig an, ſo ſchien ſie überraſcht von der
Wahrnehmung. Sie hatte gar nichts bemerkt, da es
ihr Princip ſei, ein ſo vom Himmel ſichtlich begün¬
ſtigtes Weſen ganz ſich ſelbſt zu überlaſſen. Schon
die Beobachtung wirke ſtörend ein auf eine ſo eigen¬
thümlich conſtruirte Pſyche. Freilich konnte auch ſie
dem, was zu Tage lag, ihr Auge nicht verſchließen,
aber ſie hatte ſchnell die Erklärung gefunden. Adel¬
heid war enthuſiaſtiſche Patriotin. Die Schmach des
Vaterlandes drückte ihre Seele.
Und Adelheid beſtätigte es ja mit Wort und
That. Sie begriffe nicht, wie man Bovillard heißen
könne! hatte ſie einmal ausgerufen, als verlautete,
daß der Kaiſer der Franzoſen dem Geheimrath Bo¬
villard eine Auszeichnung durch ſeinen Geſandten zu¬
kommen laſſen. Jemand, der fein auf den Strauch
klopfen wollte, hatte darauf erwiedert, der junge Bo¬
villard theile nicht die Meinungen ſeines Vaters.
„Aber er ſchwärmt für Bonaparte's Größe!“ hatte ſie
ruhig erwiedert und ſich abgewandt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/87>, abgerufen am 11.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.