einer Kammerfrau. Schon hielt sie die Klingelschnur, um den zweiten Wagen zu befehlen, als ein andrer Gedanke dem ersten folgte: War denn Adelheid ein Instrument, das sich dem Willen seines Eigners fügte? Hatte sie selbst, die Lupinus, wer denn sie zu seinen Zwecken formen und bilden können? Wie die Stehaufmännchen von Hollunderholz, wie eine elastische Puppe schnellte sie, geknickt, gebogen, ge¬ drückt, wieder auf zu ihrer Natur. Es war eine, die den Impulsen gehorcht. Vor solchen Naturen hatte die Gargazin Scheu oder Respect. -- Sie ließ die Klingelschnur aus der Hand. Solche Naturen rollen oder stürzen sich in ihr Verderben, oder der Strahl der Gnade durchzückt sie, wo wir es am we¬ nigsten erwarten. Nur dürfen wir sie nicht erziehen wollen.
Plötzlich lachte die Fürstin hell auf. Aber erst, nachdem sehr ernste Gedanken ihre Stirn verfinstert hatten. Dieses Mädchen hatte sie ja ganz durchschaut. Ja -- es giebt Momente, wo eine unwillkürliche Macht zwingt, ein Bekenntniß der Wahrheit vor uns selbst abzulegen, wie Niemand es vor einem Richter wagt und vermag. Sie hatte, nicht eine Schlange, aber einen Spiegel an ihre Brust gelegt, klar ge¬ schliffen, daß er jeden Hauch aufnahm. Der Spie¬ gel hatte geschwiegen -- bis jetzt, aus Dankbarkeit, Klugheit. Wer bürgte der Gargazin, daß Adelheid immer schweigen werde, jetzt, im nächsten Augen¬ blicke, wenn sie das Herz der Königin gewonnen,
einer Kammerfrau. Schon hielt ſie die Klingelſchnur, um den zweiten Wagen zu befehlen, als ein andrer Gedanke dem erſten folgte: War denn Adelheid ein Inſtrument, das ſich dem Willen ſeines Eigners fügte? Hatte ſie ſelbſt, die Lupinus, wer denn ſie zu ſeinen Zwecken formen und bilden können? Wie die Stehaufmännchen von Hollunderholz, wie eine elaſtiſche Puppe ſchnellte ſie, geknickt, gebogen, ge¬ drückt, wieder auf zu ihrer Natur. Es war eine, die den Impulſen gehorcht. Vor ſolchen Naturen hatte die Gargazin Scheu oder Reſpect. — Sie ließ die Klingelſchnur aus der Hand. Solche Naturen rollen oder ſtürzen ſich in ihr Verderben, oder der Strahl der Gnade durchzückt ſie, wo wir es am we¬ nigſten erwarten. Nur dürfen wir ſie nicht erziehen wollen.
Plötzlich lachte die Fürſtin hell auf. Aber erſt, nachdem ſehr ernſte Gedanken ihre Stirn verfinſtert hatten. Dieſes Mädchen hatte ſie ja ganz durchſchaut. Ja — es giebt Momente, wo eine unwillkürliche Macht zwingt, ein Bekenntniß der Wahrheit vor uns ſelbſt abzulegen, wie Niemand es vor einem Richter wagt und vermag. Sie hatte, nicht eine Schlange, aber einen Spiegel an ihre Bruſt gelegt, klar ge¬ ſchliffen, daß er jeden Hauch aufnahm. Der Spie¬ gel hatte geſchwiegen — bis jetzt, aus Dankbarkeit, Klugheit. Wer bürgte der Gargazin, daß Adelheid immer ſchweigen werde, jetzt, im nächſten Augen¬ blicke, wenn ſie das Herz der Königin gewonnen,
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einer Kammerfrau. Schon hielt ſie die Klingelſchnur,
um den zweiten Wagen zu befehlen, als ein andrer
Gedanke dem erſten folgte: War denn Adelheid ein
Inſtrument, das ſich dem Willen ſeines Eigners
fügte? Hatte ſie ſelbſt, die Lupinus, wer denn ſie
zu ſeinen Zwecken formen und bilden können? Wie
die Stehaufmännchen von Hollunderholz, wie eine
elaſtiſche Puppe ſchnellte ſie, geknickt, gebogen, ge¬
drückt, wieder auf zu ihrer Natur. Es war eine,
die den Impulſen gehorcht. Vor ſolchen Naturen
hatte die Gargazin Scheu oder Reſpect. — Sie ließ
die Klingelſchnur aus der Hand. Solche Naturen
rollen oder ſtürzen ſich in ihr Verderben, oder der
Strahl der Gnade durchzückt ſie, wo wir es am we¬
nigſten erwarten. Nur dürfen wir ſie nicht erziehen
wollen.
Plötzlich lachte die Fürſtin hell auf. Aber erſt,
nachdem ſehr ernſte Gedanken ihre Stirn verfinſtert
hatten. Dieſes Mädchen hatte ſie ja ganz durchſchaut.
Ja — es giebt Momente, wo eine unwillkürliche
Macht zwingt, ein Bekenntniß der Wahrheit vor uns
ſelbſt abzulegen, wie Niemand es vor einem Richter
wagt und vermag. Sie hatte, nicht eine Schlange,
aber einen Spiegel an ihre Bruſt gelegt, klar ge¬
ſchliffen, daß er jeden Hauch aufnahm. Der Spie¬
gel hatte geſchwiegen — bis jetzt, aus Dankbarkeit,
Klugheit. Wer bürgte der Gargazin, daß Adelheid
immer ſchweigen werde, jetzt, im nächſten Augen¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/106>, abgerufen am 23.11.2024.
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