Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

den Mund, über die ich mich in der Seele schäme.
Sie haben nicht daran gedacht, und ihre Pflicht
war es. Ist das Loyalität? -- Auch im Kriegs¬
wesen sagte mir Rüchel Unbegreifliches. Für das
Nöthigste nicht gesorgt! Unsre Festungen zu armi¬
ren, dazu schickt man sich jetzt erst an. Es ist uner¬
hört, man wird es künftig nicht glauben. Wozu
bezogen sie die großen Besoldungen, wozu wurden
ihnen Güter über Güter geschenkt! -- Nein, lieber
Graf, das Cabinet, was diesen gräßlichen Zustand
möglich machte -- es kann, darf nicht bleiben --
oder --"

Die Worte verhallten. Am Ende der Allee war
der Vicekönig von Schlesien entlassen. Louise stand
eine Weile sinnend. Ihre schöne, anmuthige Gestalt
im weißen einfachen Morgenkleide ward noch vortheil¬
hafter gehoben durch den grünen Rasenfleck, gegen
den sie wie eine Marmorstatue abschnitt. Ein Sonnen¬
strahl, der durch die Baumwipfel auf ihren Scheitel
fiel, setzte ihr eine goldene Krone auf, aber er goß
zugleich ein wunderbares Leben auf das schöne Ge¬
sicht. Es war keine Bildsäule; die Königin schwebte
die Allee wieder herab.

"Sie hat uns gesehen. Sie kommt auf uns
zu, sie wird uns ansprechen. Nun muthig, liebe
Demoiselle. Wenn ich Ihnen winke, thun wir also
wie erschrocken und treten einen halben Schritt zurück.
Dann wird sie eine Bewegung machen, daß wir
herantreten. Sie knixen so, die Arme kreuzweis auf

den Mund, über die ich mich in der Seele ſchäme.
Sie haben nicht daran gedacht, und ihre Pflicht
war es. Iſt das Loyalität? — Auch im Kriegs¬
weſen ſagte mir Rüchel Unbegreifliches. Für das
Nöthigſte nicht geſorgt! Unſre Feſtungen zu armi¬
ren, dazu ſchickt man ſich jetzt erſt an. Es iſt uner¬
hört, man wird es künftig nicht glauben. Wozu
bezogen ſie die großen Beſoldungen, wozu wurden
ihnen Güter über Güter geſchenkt! — Nein, lieber
Graf, das Cabinet, was dieſen gräßlichen Zuſtand
möglich machte — es kann, darf nicht bleiben —
oder —“

Die Worte verhallten. Am Ende der Allee war
der Vicekönig von Schleſien entlaſſen. Louiſe ſtand
eine Weile ſinnend. Ihre ſchöne, anmuthige Geſtalt
im weißen einfachen Morgenkleide ward noch vortheil¬
hafter gehoben durch den grünen Raſenfleck, gegen
den ſie wie eine Marmorſtatue abſchnitt. Ein Sonnen¬
ſtrahl, der durch die Baumwipfel auf ihren Scheitel
fiel, ſetzte ihr eine goldene Krone auf, aber er goß
zugleich ein wunderbares Leben auf das ſchöne Ge¬
ſicht. Es war keine Bildſäule; die Königin ſchwebte
die Allee wieder herab.

„Sie hat uns geſehen. Sie kommt auf uns
zu, ſie wird uns anſprechen. Nun muthig, liebe
Demoiſelle. Wenn ich Ihnen winke, thun wir alſo
wie erſchrocken und treten einen halben Schritt zurück.
Dann wird ſie eine Bewegung machen, daß wir
herantreten. Sie knixen ſo, die Arme kreuzweis auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0117" n="107"/>
den Mund, über die ich mich in der Seele &#x017F;chäme.<lb/><hi rendition="#g">Sie</hi> haben nicht daran gedacht, und ihre Pflicht<lb/>
war es. I&#x017F;t das Loyalität? &#x2014; Auch im Kriegs¬<lb/>
we&#x017F;en &#x017F;agte mir Rüchel Unbegreifliches. Für das<lb/>
Nöthig&#x017F;te nicht ge&#x017F;orgt! Un&#x017F;re Fe&#x017F;tungen zu armi¬<lb/>
ren, dazu &#x017F;chickt man &#x017F;ich jetzt er&#x017F;t an. Es i&#x017F;t uner¬<lb/>
hört, man wird es künftig nicht glauben. Wozu<lb/>
bezogen &#x017F;ie die großen Be&#x017F;oldungen, wozu wurden<lb/>
ihnen Güter über Güter ge&#x017F;chenkt! &#x2014; Nein, lieber<lb/>
Graf, das Cabinet, was die&#x017F;en gräßlichen Zu&#x017F;tand<lb/>
möglich machte &#x2014; es kann, darf nicht bleiben &#x2014;<lb/>
oder &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Worte verhallten. Am Ende der Allee war<lb/>
der Vicekönig von Schle&#x017F;ien entla&#x017F;&#x017F;en. Loui&#x017F;e &#x017F;tand<lb/>
eine Weile &#x017F;innend. Ihre &#x017F;chöne, anmuthige Ge&#x017F;talt<lb/>
im weißen einfachen Morgenkleide ward noch vortheil¬<lb/>
hafter gehoben durch den grünen Ra&#x017F;enfleck, gegen<lb/>
den &#x017F;ie wie eine Marmor&#x017F;tatue ab&#x017F;chnitt. Ein Sonnen¬<lb/>
&#x017F;trahl, der durch die Baumwipfel auf ihren Scheitel<lb/>
fiel, &#x017F;etzte ihr eine goldene Krone auf, aber er goß<lb/>
zugleich ein wunderbares Leben auf das &#x017F;chöne Ge¬<lb/>
&#x017F;icht. Es war keine Bild&#x017F;äule; die Königin &#x017F;chwebte<lb/>
die Allee wieder herab.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie hat uns ge&#x017F;ehen. Sie kommt auf uns<lb/>
zu, &#x017F;ie wird uns an&#x017F;prechen. Nun muthig, liebe<lb/>
Demoi&#x017F;elle. Wenn ich Ihnen winke, thun wir al&#x017F;o<lb/>
wie er&#x017F;chrocken und treten einen halben Schritt zurück.<lb/>
Dann wird &#x017F;ie eine Bewegung machen, daß wir<lb/>
herantreten. Sie knixen &#x017F;o, die Arme kreuzweis auf<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[107/0117] den Mund, über die ich mich in der Seele ſchäme. Sie haben nicht daran gedacht, und ihre Pflicht war es. Iſt das Loyalität? — Auch im Kriegs¬ weſen ſagte mir Rüchel Unbegreifliches. Für das Nöthigſte nicht geſorgt! Unſre Feſtungen zu armi¬ ren, dazu ſchickt man ſich jetzt erſt an. Es iſt uner¬ hört, man wird es künftig nicht glauben. Wozu bezogen ſie die großen Beſoldungen, wozu wurden ihnen Güter über Güter geſchenkt! — Nein, lieber Graf, das Cabinet, was dieſen gräßlichen Zuſtand möglich machte — es kann, darf nicht bleiben — oder —“ Die Worte verhallten. Am Ende der Allee war der Vicekönig von Schleſien entlaſſen. Louiſe ſtand eine Weile ſinnend. Ihre ſchöne, anmuthige Geſtalt im weißen einfachen Morgenkleide ward noch vortheil¬ hafter gehoben durch den grünen Raſenfleck, gegen den ſie wie eine Marmorſtatue abſchnitt. Ein Sonnen¬ ſtrahl, der durch die Baumwipfel auf ihren Scheitel fiel, ſetzte ihr eine goldene Krone auf, aber er goß zugleich ein wunderbares Leben auf das ſchöne Ge¬ ſicht. Es war keine Bildſäule; die Königin ſchwebte die Allee wieder herab. „Sie hat uns geſehen. Sie kommt auf uns zu, ſie wird uns anſprechen. Nun muthig, liebe Demoiſelle. Wenn ich Ihnen winke, thun wir alſo wie erſchrocken und treten einen halben Schritt zurück. Dann wird ſie eine Bewegung machen, daß wir herantreten. Sie knixen ſo, die Arme kreuzweis auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/117
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/117>, abgerufen am 23.11.2024.