Louise hätte sie dann in ihre Arme geschlossen und vielleicht gesprochen: "Nun sind Sie mir doppelt ge¬ wonnen!"
Aber Adelheid sank nicht auf die Knie, sie preßte nicht die königliche Hand an die Lippen und verbarg auch nicht ihr Gesicht. Sie blickte so klar und ohne Trug, wie die Fürstin es verlangt, diese an und sprach:
"Erlauben mir Ihre Majestät, daß ich antworte, ganz wie ich fühle?"
"Das erwarte ich," sagte Louise, ohne ihr Be¬ fremden verbergen zu können.
"Ihre Majestät verlangen drei Punkte von mir: Gehorsam, Einsicht und Entsagung. Man ist ein schlechter Advokat in eigner Sache, habe ich immer gehört, möchten Sie, gnädigste Frau, daher Nachsicht mit einer Armen haben, die, angeklagt vor einem so hohen Richterstuhl, sich zum ersten Mal vertheidigen soll."
Die Vertheidigung, was den ersten Punkt be¬ traf, führte Adelheid mit einer Ruhe und klaren Aus¬ einanderlegung der Thatsachen, daß man doch glau¬ ben können, es sei nicht das erste Mal, daß sie, des Ungehorsams gegen ihre Eltern angeklagt, vor Gericht stehe: Noch gehöre ihr Herz und ihre volle Dank¬ barkeit den Theuren, aber nicht mehr ihr Schicksal, das Vater und Mutter ja längst in andere Hände gelegt. Wenn sie von denen sich frei gemacht, ge¬ höre diese Freiheit ihr, die sie errungen. Wisse ein Vater, auch der beste, liebevollste, immer am besten,
V. 9
Louiſe hätte ſie dann in ihre Arme geſchloſſen und vielleicht geſprochen: „Nun ſind Sie mir doppelt ge¬ wonnen!“
Aber Adelheid ſank nicht auf die Knie, ſie preßte nicht die königliche Hand an die Lippen und verbarg auch nicht ihr Geſicht. Sie blickte ſo klar und ohne Trug, wie die Fürſtin es verlangt, dieſe an und ſprach:
„Erlauben mir Ihre Majeſtät, daß ich antworte, ganz wie ich fühle?“
„Das erwarte ich,“ ſagte Louiſe, ohne ihr Be¬ fremden verbergen zu können.
„Ihre Majeſtät verlangen drei Punkte von mir: Gehorſam, Einſicht und Entſagung. Man iſt ein ſchlechter Advokat in eigner Sache, habe ich immer gehört, möchten Sie, gnädigſte Frau, daher Nachſicht mit einer Armen haben, die, angeklagt vor einem ſo hohen Richterſtuhl, ſich zum erſten Mal vertheidigen ſoll.“
Die Vertheidigung, was den erſten Punkt be¬ traf, führte Adelheid mit einer Ruhe und klaren Aus¬ einanderlegung der Thatſachen, daß man doch glau¬ ben können, es ſei nicht das erſte Mal, daß ſie, des Ungehorſams gegen ihre Eltern angeklagt, vor Gericht ſtehe: Noch gehöre ihr Herz und ihre volle Dank¬ barkeit den Theuren, aber nicht mehr ihr Schickſal, das Vater und Mutter ja längſt in andere Hände gelegt. Wenn ſie von denen ſich frei gemacht, ge¬ höre dieſe Freiheit ihr, die ſie errungen. Wiſſe ein Vater, auch der beſte, liebevollſte, immer am beſten,
V. 9
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Louiſe hätte ſie dann in ihre Arme geſchloſſen und
vielleicht geſprochen: „Nun ſind Sie mir doppelt ge¬
wonnen!“
Aber Adelheid ſank nicht auf die Knie, ſie preßte
nicht die königliche Hand an die Lippen und verbarg
auch nicht ihr Geſicht. Sie blickte ſo klar und ohne
Trug, wie die Fürſtin es verlangt, dieſe an und ſprach:
„Erlauben mir Ihre Majeſtät, daß ich antworte,
ganz wie ich fühle?“
„Das erwarte ich,“ ſagte Louiſe, ohne ihr Be¬
fremden verbergen zu können.
„Ihre Majeſtät verlangen drei Punkte von mir:
Gehorſam, Einſicht und Entſagung. Man iſt ein
ſchlechter Advokat in eigner Sache, habe ich immer
gehört, möchten Sie, gnädigſte Frau, daher Nachſicht
mit einer Armen haben, die, angeklagt vor einem ſo
hohen Richterſtuhl, ſich zum erſten Mal vertheidigen
ſoll.“
Die Vertheidigung, was den erſten Punkt be¬
traf, führte Adelheid mit einer Ruhe und klaren Aus¬
einanderlegung der Thatſachen, daß man doch glau¬
ben können, es ſei nicht das erſte Mal, daß ſie, des
Ungehorſams gegen ihre Eltern angeklagt, vor Gericht
ſtehe: Noch gehöre ihr Herz und ihre volle Dank¬
barkeit den Theuren, aber nicht mehr ihr Schickſal,
das Vater und Mutter ja längſt in andere Hände
gelegt. Wenn ſie von denen ſich frei gemacht, ge¬
höre dieſe Freiheit ihr, die ſie errungen. Wiſſe ein
Vater, auch der beſte, liebevollſte, immer am beſten,
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/139>, abgerufen am 23.11.2024.
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