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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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welcher Gatte das Glück seiner Tochter begründen
werde, dürfe das Herz nie mitsprechen, und blicke
dieses nicht oft klarer in die Seele des Geliebten
und die Zukunft, als ein redlicher Vater, der im
Staatsdienst, unter Aktenstaub ergraut, den Werth des
Menschen nur nach seiner Stellung im bürgerlichen
Leben abschätze? Und sei nicht der Wille des Men¬
schen wandelbar, es nie vorgekommen, daß Eltern
ihre Ansicht geändert, daß sie endlich ihre Hand seg¬
nend über Ehebündnisse gebreitet, denen sie vorher ge¬
flucht, während so mancher Vater die Hände gerun¬
gen, manche harte Mutter die Haare gerauft über das
Unglück ihrer Tochter, das sie durch ihre Hartherzig¬
keit, ihren Eigensinn herbeigerufen? Aber nein, ihre
Eltern würden rein von dieser Schuld bleiben. Ihr
Vater kämpfe nur mit alten Vorurtheilen, vielleicht
seiner Bescheidenheit, die seiner Tochter ein stilleres,
bürgerliches Loos gewünscht, und das Herz ihrer
Mutter sei schon jetzt weich gestimmt.

Wenn Adelheid in ihrer Advokatenrede auch
nicht von der Wahrheit abgewichen war, hatte
sie doch nicht die kleinen Künste der Diplomatie
verschmäht. Die versteckten Anspielungen auf so
manche Familienscene aus Lafontaine war verstan¬
den und hatte gewirkt. Wo die Königin über
die erdichtete Situation Thränen vergossen, durfte sie
da die wirkliche mit der Kälte des Verstandes ver¬
dammen? Adelheid hatte in diesem Punkte gesiegt.
Die Fürstin verschluckte Vorschläge, die ihr dunkel

welcher Gatte das Glück ſeiner Tochter begründen
werde, dürfe das Herz nie mitſprechen, und blicke
dieſes nicht oft klarer in die Seele des Geliebten
und die Zukunft, als ein redlicher Vater, der im
Staatsdienſt, unter Aktenſtaub ergraut, den Werth des
Menſchen nur nach ſeiner Stellung im bürgerlichen
Leben abſchätze? Und ſei nicht der Wille des Men¬
ſchen wandelbar, es nie vorgekommen, daß Eltern
ihre Anſicht geändert, daß ſie endlich ihre Hand ſeg¬
nend über Ehebündniſſe gebreitet, denen ſie vorher ge¬
flucht, während ſo mancher Vater die Hände gerun¬
gen, manche harte Mutter die Haare gerauft über das
Unglück ihrer Tochter, das ſie durch ihre Hartherzig¬
keit, ihren Eigenſinn herbeigerufen? Aber nein, ihre
Eltern würden rein von dieſer Schuld bleiben. Ihr
Vater kämpfe nur mit alten Vorurtheilen, vielleicht
ſeiner Beſcheidenheit, die ſeiner Tochter ein ſtilleres,
bürgerliches Loos gewünſcht, und das Herz ihrer
Mutter ſei ſchon jetzt weich geſtimmt.

Wenn Adelheid in ihrer Advokatenrede auch
nicht von der Wahrheit abgewichen war, hatte
ſie doch nicht die kleinen Künſte der Diplomatie
verſchmäht. Die verſteckten Anſpielungen auf ſo
manche Familienſcene aus Lafontaine war verſtan¬
den und hatte gewirkt. Wo die Königin über
die erdichtete Situation Thränen vergoſſen, durfte ſie
da die wirkliche mit der Kälte des Verſtandes ver¬
dammen? Adelheid hatte in dieſem Punkte geſiegt.
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[130/0140] welcher Gatte das Glück ſeiner Tochter begründen werde, dürfe das Herz nie mitſprechen, und blicke dieſes nicht oft klarer in die Seele des Geliebten und die Zukunft, als ein redlicher Vater, der im Staatsdienſt, unter Aktenſtaub ergraut, den Werth des Menſchen nur nach ſeiner Stellung im bürgerlichen Leben abſchätze? Und ſei nicht der Wille des Men¬ ſchen wandelbar, es nie vorgekommen, daß Eltern ihre Anſicht geändert, daß ſie endlich ihre Hand ſeg¬ nend über Ehebündniſſe gebreitet, denen ſie vorher ge¬ flucht, während ſo mancher Vater die Hände gerun¬ gen, manche harte Mutter die Haare gerauft über das Unglück ihrer Tochter, das ſie durch ihre Hartherzig¬ keit, ihren Eigenſinn herbeigerufen? Aber nein, ihre Eltern würden rein von dieſer Schuld bleiben. Ihr Vater kämpfe nur mit alten Vorurtheilen, vielleicht ſeiner Beſcheidenheit, die ſeiner Tochter ein ſtilleres, bürgerliches Loos gewünſcht, und das Herz ihrer Mutter ſei ſchon jetzt weich geſtimmt. Wenn Adelheid in ihrer Advokatenrede auch nicht von der Wahrheit abgewichen war, hatte ſie doch nicht die kleinen Künſte der Diplomatie verſchmäht. Die verſteckten Anſpielungen auf ſo manche Familienſcene aus Lafontaine war verſtan¬ den und hatte gewirkt. Wo die Königin über die erdichtete Situation Thränen vergoſſen, durfte ſie da die wirkliche mit der Kälte des Verſtandes ver¬ dammen? Adelheid hatte in dieſem Punkte geſiegt. Die Fürſtin verſchluckte Vorſchläge, die ihr dunkel

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/140>, abgerufen am 23.11.2024.