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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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"Was sagt meine Freundin dazu?"

Die Freundin war noch in halber Wittwentrauer,
in grauem Seidenkleide mit schwarzem Ueberwurf.
Ihr Gesicht verrieth nur die Verklärung der Trauer.
Man hatte bemerkt, daß sie, die bei seinen Lebzeiten
nie viel von ihrem Manne gesprochen, jetzt gern,
wenigstens absichtlich, das Gespräch auf ihn lenkte.
Immer als Philosophin. Sie bedauerte ihn nicht,
sie erklärte es als ein Glück, daß er diese unruhigen
Zeiten nicht mehr erlebt. Man wisse nicht, wie diese
reine, von den Weltverhältnissen unberührte Seele
in diesen Berührungen, Stürmen würde gelitten ha¬
ben. Schon ein Collectensammler, ein Weinreisender,
der in sein Zimmer gedrungen, habe ihn in eine
fieberhafte Erschütterung versetzt und den Frieden
seines Geistes auf Tage gestört. Wenn nun, wie
jetzt täglich geschähe, Aufforderungen um Charpie,
Beiträge zu dem und jenem in's Haus drängen,
wie hätte sie ihn davor bewahren sollen! Schon das
beständige Ziehen an der Klingel hätte sein Nerven¬
system angegriffen. Und nun erst gar die Mäntel¬
geschichte! Der Bürgermeister, Herr Büsching, war
ja mit Herrn Gerresheim und Köls selbst zu ihr ge¬
kommen. Der selige Geheimrath habe eine so leb¬
hafte Phantasie gehabt, daß, wenn die Herren ihm
die Noth der armen Soldaten, den Frost, die Schauer
eines Winterlagers vorgemalt, er die Schrecken am eignen
Leibe empfunden hätte. "O und er war die Liebe und
Theilnahme selbst! Man glaubt es mir nur nicht,

„Was ſagt meine Freundin dazu?“

Die Freundin war noch in halber Wittwentrauer,
in grauem Seidenkleide mit ſchwarzem Ueberwurf.
Ihr Geſicht verrieth nur die Verklärung der Trauer.
Man hatte bemerkt, daß ſie, die bei ſeinen Lebzeiten
nie viel von ihrem Manne geſprochen, jetzt gern,
wenigſtens abſichtlich, das Geſpräch auf ihn lenkte.
Immer als Philoſophin. Sie bedauerte ihn nicht,
ſie erklärte es als ein Glück, daß er dieſe unruhigen
Zeiten nicht mehr erlebt. Man wiſſe nicht, wie dieſe
reine, von den Weltverhältniſſen unberührte Seele
in dieſen Berührungen, Stürmen würde gelitten ha¬
ben. Schon ein Collectenſammler, ein Weinreiſender,
der in ſein Zimmer gedrungen, habe ihn in eine
fieberhafte Erſchütterung verſetzt und den Frieden
ſeines Geiſtes auf Tage geſtört. Wenn nun, wie
jetzt täglich geſchähe, Aufforderungen um Charpie,
Beiträge zu dem und jenem in's Haus drängen,
wie hätte ſie ihn davor bewahren ſollen! Schon das
beſtändige Ziehen an der Klingel hätte ſein Nerven¬
ſyſtem angegriffen. Und nun erſt gar die Mäntel¬
geſchichte! Der Bürgermeiſter, Herr Büſching, war
ja mit Herrn Gerresheim und Köls ſelbſt zu ihr ge¬
kommen. Der ſelige Geheimrath habe eine ſo leb¬
hafte Phantaſie gehabt, daß, wenn die Herren ihm
die Noth der armen Soldaten, den Froſt, die Schauer
eines Winterlagers vorgemalt, er die Schrecken am eignen
Leibe empfunden hätte. „O und er war die Liebe und
Theilnahme ſelbſt! Man glaubt es mir nur nicht,

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[143/0153] „Was ſagt meine Freundin dazu?“ Die Freundin war noch in halber Wittwentrauer, in grauem Seidenkleide mit ſchwarzem Ueberwurf. Ihr Geſicht verrieth nur die Verklärung der Trauer. Man hatte bemerkt, daß ſie, die bei ſeinen Lebzeiten nie viel von ihrem Manne geſprochen, jetzt gern, wenigſtens abſichtlich, das Geſpräch auf ihn lenkte. Immer als Philoſophin. Sie bedauerte ihn nicht, ſie erklärte es als ein Glück, daß er dieſe unruhigen Zeiten nicht mehr erlebt. Man wiſſe nicht, wie dieſe reine, von den Weltverhältniſſen unberührte Seele in dieſen Berührungen, Stürmen würde gelitten ha¬ ben. Schon ein Collectenſammler, ein Weinreiſender, der in ſein Zimmer gedrungen, habe ihn in eine fieberhafte Erſchütterung verſetzt und den Frieden ſeines Geiſtes auf Tage geſtört. Wenn nun, wie jetzt täglich geſchähe, Aufforderungen um Charpie, Beiträge zu dem und jenem in's Haus drängen, wie hätte ſie ihn davor bewahren ſollen! Schon das beſtändige Ziehen an der Klingel hätte ſein Nerven¬ ſyſtem angegriffen. Und nun erſt gar die Mäntel¬ geſchichte! Der Bürgermeiſter, Herr Büſching, war ja mit Herrn Gerresheim und Köls ſelbſt zu ihr ge¬ kommen. Der ſelige Geheimrath habe eine ſo leb¬ hafte Phantaſie gehabt, daß, wenn die Herren ihm die Noth der armen Soldaten, den Froſt, die Schauer eines Winterlagers vorgemalt, er die Schrecken am eignen Leibe empfunden hätte. „O und er war die Liebe und Theilnahme ſelbſt! Man glaubt es mir nur nicht,

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/153>, abgerufen am 23.11.2024.