hörte, trat das Stubenmädchen ein, blaß, wie ver¬ stört: "Ach Gott, wissen Sie schon --" Die Sprache versagte ihr.
"Was?"
"Sie wird abgeführt -- sie ist criminalisch -- die Thränen stürzten dem Mädchen aus den Augen. Ach Gott, ach Gott! daß solchen Leuten auch so was passiren muß. Die gute Frau Geheimräthin!"
"Unmöglich! -- Ein Mißverständniß!" -- Die Karten fielen, die Stühle und Tische rückten. Ueberall blasse Gesichter. Mehrere Herren waren hinausgeeilt. Der Baron Eitelbach kam aber schon hereingestürzt. Es ist eine fatale Wahrnehmung für unser Huma¬ nitätsgefühl, aber es steht unbestreitbar fest, mitten aus diesem Humanitätsgefühl schießt oft eine cani¬ balische Lust, wenn wir ein ungewöhnliches Unglück, von äußerem Schrecken begleitet, hören. In das Be¬ dauern für die Leidendenden mischt sich ein wollüstiger Kitzel. Es ist nicht immer Schadenfreude, oft nur die Freude, aus dem Alltäglichen heraus in die Re¬ gionen des Ungewöhnlichen uns versetzt zu sehen. Hören wir, daß es nur blinder Lärm war, kein Feuer, eine Mystification, so werden wir still. Wir äußern vielleicht ein Gott sei Dank! Aber ganz recht ist es uns nicht, daß die wunderbare Aufregung ohne Re¬ sultat geblieben.
"'S ist richtig! Wissen Sie's?" schrie der Baron.
"Um des Himmels Willen, was?"
"Sie hat ihrem Mann Rattengift gegeben. --
V. 11
hörte, trat das Stubenmädchen ein, blaß, wie ver¬ ſtört: „Ach Gott, wiſſen Sie ſchon —“ Die Sprache verſagte ihr.
„Was?“
„Sie wird abgeführt — ſie iſt criminaliſch — die Thränen ſtürzten dem Mädchen aus den Augen. Ach Gott, ach Gott! daß ſolchen Leuten auch ſo was paſſiren muß. Die gute Frau Geheimräthin!“
„Unmöglich! — Ein Mißverſtändniß!“ — Die Karten fielen, die Stühle und Tiſche rückten. Ueberall blaſſe Geſichter. Mehrere Herren waren hinausgeeilt. Der Baron Eitelbach kam aber ſchon hereingeſtürzt. Es iſt eine fatale Wahrnehmung für unſer Huma¬ nitätsgefühl, aber es ſteht unbeſtreitbar feſt, mitten aus dieſem Humanitätsgefühl ſchießt oft eine cani¬ baliſche Luſt, wenn wir ein ungewöhnliches Unglück, von äußerem Schrecken begleitet, hören. In das Be¬ dauern für die Leidendenden miſcht ſich ein wollüſtiger Kitzel. Es iſt nicht immer Schadenfreude, oft nur die Freude, aus dem Alltäglichen heraus in die Re¬ gionen des Ungewöhnlichen uns verſetzt zu ſehen. Hören wir, daß es nur blinder Lärm war, kein Feuer, eine Myſtification, ſo werden wir ſtill. Wir äußern vielleicht ein Gott ſei Dank! Aber ganz recht iſt es uns nicht, daß die wunderbare Aufregung ohne Re¬ ſultat geblieben.
„'S iſt richtig! Wiſſen Sie's?“ ſchrie der Baron.
„Um des Himmels Willen, was?“
„Sie hat ihrem Mann Rattengift gegeben. —
V. 11
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hörte, trat das Stubenmädchen ein, blaß, wie ver¬
ſtört: „Ach Gott, wiſſen Sie ſchon —“ Die Sprache
verſagte ihr.
„Was?“
„Sie wird abgeführt — ſie iſt criminaliſch —
die Thränen ſtürzten dem Mädchen aus den Augen.
Ach Gott, ach Gott! daß ſolchen Leuten auch ſo was
paſſiren muß. Die gute Frau Geheimräthin!“
„Unmöglich! — Ein Mißverſtändniß!“ — Die
Karten fielen, die Stühle und Tiſche rückten. Ueberall
blaſſe Geſichter. Mehrere Herren waren hinausgeeilt.
Der Baron Eitelbach kam aber ſchon hereingeſtürzt.
Es iſt eine fatale Wahrnehmung für unſer Huma¬
nitätsgefühl, aber es ſteht unbeſtreitbar feſt, mitten
aus dieſem Humanitätsgefühl ſchießt oft eine cani¬
baliſche Luſt, wenn wir ein ungewöhnliches Unglück,
von äußerem Schrecken begleitet, hören. In das Be¬
dauern für die Leidendenden miſcht ſich ein wollüſtiger
Kitzel. Es iſt nicht immer Schadenfreude, oft nur
die Freude, aus dem Alltäglichen heraus in die Re¬
gionen des Ungewöhnlichen uns verſetzt zu ſehen.
Hören wir, daß es nur blinder Lärm war, kein Feuer,
eine Myſtification, ſo werden wir ſtill. Wir äußern
vielleicht ein Gott ſei Dank! Aber ganz recht iſt es
uns nicht, daß die wunderbare Aufregung ohne Re¬
ſultat geblieben.
„'S iſt richtig! Wiſſen Sie's?“ ſchrie der Baron.
„Um des Himmels Willen, was?“
„Sie hat ihrem Mann Rattengift gegeben. —
V. 11
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/171>, abgerufen am 25.11.2024.
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