Schreck erholt, war sie die aufgeregteste, wenigstens die lauteste: Wenn man sie nur gefragt, sie hätte es längst gewußt -- nein, das freilich nicht, aber vor¬ geschwant hätte es ihr, daß es so oder so etwa kom¬ men werde. Und der Frau hätte sie ja nicht um die Ecke getraut; so etwas Maliciöses im Gange und den Fingerspitzen, in den Locken und Lippen, und die cachirte Vornehmheit! An ihrem Gesichte konnte man ihr die Giftmischerin ansehn. Und wenn sie nur den wüßte, der sie ihr zuerst in's Haus gebracht!
War dies vielleicht die arme Baronin? Sie saß über ihren Stuhl gelehnt wie ein Bild des Ent¬ setzens, blaß, mit weit aufstarrenden Augen, sprach¬ los. Es war ihr Vieles im Leben begegnet, sie hatte einmal geglaubt, noch vor Kurzem, was sie dulden müsse, das dulde Keiner außer ihr, aber das, was sie jetzt erlebt, war mehr, es war zu viel. Sie hatte dafür keine Sprache, vielleicht auch keine Ge¬ danken. Die Lupinus galt ihr, und war ihr immer vorgestellt worden als ein Muster von feiner, edler Bildung, von Herzensgüte und Verstand, das sie zwar nicht erreichen, aber auf das sie zur Nach¬ eiferung blicken, woran sie sich halten könne. Und glaubte die Eitelbach nicht, daß sie schon eine Andere, Bessere geworden! Hatte sie nicht erkannt, woran es ihr fehle, hatte sie es in einem gerührten Augenblicke nicht gradezu ausgesprochen, und die Lupinus hatte ihre Hand auf sie gelegt und mit herzgewinnender Güte gesagt: die einfältigen Herzens sind, denen ist
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Schreck erholt, war ſie die aufgeregteſte, wenigſtens die lauteſte: Wenn man ſie nur gefragt, ſie hätte es längſt gewußt — nein, das freilich nicht, aber vor¬ geſchwant hätte es ihr, daß es ſo oder ſo etwa kom¬ men werde. Und der Frau hätte ſie ja nicht um die Ecke getraut; ſo etwas Maliciöſes im Gange und den Fingerſpitzen, in den Locken und Lippen, und die cachirte Vornehmheit! An ihrem Geſichte konnte man ihr die Giftmiſcherin anſehn. Und wenn ſie nur den wüßte, der ſie ihr zuerſt in's Haus gebracht!
War dies vielleicht die arme Baronin? Sie ſaß über ihren Stuhl gelehnt wie ein Bild des Ent¬ ſetzens, blaß, mit weit aufſtarrenden Augen, ſprach¬ los. Es war ihr Vieles im Leben begegnet, ſie hatte einmal geglaubt, noch vor Kurzem, was ſie dulden müſſe, das dulde Keiner außer ihr, aber das, was ſie jetzt erlebt, war mehr, es war zu viel. Sie hatte dafür keine Sprache, vielleicht auch keine Ge¬ danken. Die Lupinus galt ihr, und war ihr immer vorgeſtellt worden als ein Muſter von feiner, edler Bildung, von Herzensgüte und Verſtand, das ſie zwar nicht erreichen, aber auf das ſie zur Nach¬ eiferung blicken, woran ſie ſich halten könne. Und glaubte die Eitelbach nicht, daß ſie ſchon eine Andere, Beſſere geworden! Hatte ſie nicht erkannt, woran es ihr fehle, hatte ſie es in einem gerührten Augenblicke nicht gradezu ausgeſprochen, und die Lupinus hatte ihre Hand auf ſie gelegt und mit herzgewinnender Güte geſagt: die einfältigen Herzens ſind, denen iſt
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Schreck erholt, war ſie die aufgeregteſte, wenigſtens
die lauteſte: Wenn man ſie nur gefragt, ſie hätte es
längſt gewußt — nein, das freilich nicht, aber vor¬
geſchwant hätte es ihr, daß es ſo oder ſo etwa kom¬
men werde. Und der Frau hätte ſie ja nicht um die
Ecke getraut; ſo etwas Maliciöſes im Gange und
den Fingerſpitzen, in den Locken und Lippen, und die
cachirte Vornehmheit! An ihrem Geſichte konnte man
ihr die Giftmiſcherin anſehn. Und wenn ſie nur
den wüßte, der ſie ihr zuerſt in's Haus gebracht!
War dies vielleicht die arme Baronin? Sie
ſaß über ihren Stuhl gelehnt wie ein Bild des Ent¬
ſetzens, blaß, mit weit aufſtarrenden Augen, ſprach¬
los. Es war ihr Vieles im Leben begegnet, ſie
hatte einmal geglaubt, noch vor Kurzem, was ſie
dulden müſſe, das dulde Keiner außer ihr, aber das,
was ſie jetzt erlebt, war mehr, es war zu viel. Sie
hatte dafür keine Sprache, vielleicht auch keine Ge¬
danken. Die Lupinus galt ihr, und war ihr immer
vorgeſtellt worden als ein Muſter von feiner, edler
Bildung, von Herzensgüte und Verſtand, das ſie
zwar nicht erreichen, aber auf das ſie zur Nach¬
eiferung blicken, woran ſie ſich halten könne. Und
glaubte die Eitelbach nicht, daß ſie ſchon eine Andere,
Beſſere geworden! Hatte ſie nicht erkannt, woran es
ihr fehle, hatte ſie es in einem gerührten Augenblicke
nicht gradezu ausgeſprochen, und die Lupinus hatte
ihre Hand auf ſie gelegt und mit herzgewinnender
Güte geſagt: die einfältigen Herzens ſind, denen iſt
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/173>, abgerufen am 25.11.2024.
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