Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

"Nein! -- Eigentlich bewunderte ich in Ihnen
die Allmacht der Natur. Wie es ihr möglich war,
ein Geschöpf in Menschengestalt ohne Blut und Herz
zu bilden! Sie waren mir neu, interessant, ich
wollte Sie studiren. Ich klopfte an, ob nicht irgend¬
wo eine schwache Seite herausklinge -- aber kalter
Marmor von außen und noch kälterer innen. Ich
fragte mich, was bewegt denn diesen Block, den irgend
ein Dämon aus dem kalten Gestein loshieb und ge¬
meißelt in's Leben setzte, mit täuschender Menschen¬
ähnlichkeit, aber er ward kein Mensch."

"Einige wollen behaupten, der Egoismus sei
es allein, der diesen -- Marmorblock in Thätigkeit
bringt."

"Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch
an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Wie¬
derhall. Es rauscht und strahlt zuweilen so harmo¬
nisch heraus, daß Sie blenden, berauschen, verführen.
Sagen Sie, ist das Alles nur der Reflex eines Spie¬
gels, den selbst nichts rührt? Haben Sie keine Seele,
oder ist sie wie das Meer am Eispol, eingefroren
seit ihrer Schöpfung?"

"Viel näher, theuerste Freundin, läge doch der
Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter
in's Leben rief. Warum so ungeheuer weit suchen
im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, statt
Goethe's Mephistopheles zu citiren? Die Ehre er¬
zeigten mir Andre, sie nannten mich den Geist, der
immer verneint. Höflichere hatten sogar die Freund¬

„Nein! — Eigentlich bewunderte ich in Ihnen
die Allmacht der Natur. Wie es ihr möglich war,
ein Geſchöpf in Menſchengeſtalt ohne Blut und Herz
zu bilden! Sie waren mir neu, intereſſant, ich
wollte Sie ſtudiren. Ich klopfte an, ob nicht irgend¬
wo eine ſchwache Seite herausklinge — aber kalter
Marmor von außen und noch kälterer innen. Ich
fragte mich, was bewegt denn dieſen Block, den irgend
ein Dämon aus dem kalten Geſtein loshieb und ge¬
meißelt in's Leben ſetzte, mit täuſchender Menſchen¬
ähnlichkeit, aber er ward kein Menſch.“

„Einige wollen behaupten, der Egoismus ſei
es allein, der dieſen — Marmorblock in Thätigkeit
bringt.“

„Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch
an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Wie¬
derhall. Es rauſcht und ſtrahlt zuweilen ſo harmo¬
niſch heraus, daß Sie blenden, berauſchen, verführen.
Sagen Sie, iſt das Alles nur der Reflex eines Spie¬
gels, den ſelbſt nichts rührt? Haben Sie keine Seele,
oder iſt ſie wie das Meer am Eispol, eingefroren
ſeit ihrer Schöpfung?“

„Viel näher, theuerſte Freundin, läge doch der
Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter
in's Leben rief. Warum ſo ungeheuer weit ſuchen
im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, ſtatt
Goethe's Mephiſtopheles zu citiren? Die Ehre er¬
zeigten mir Andre, ſie nannten mich den Geiſt, der
immer verneint. Höflichere hatten ſogar die Freund¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0183" n="173"/>
        <p>&#x201E;Nein! &#x2014; Eigentlich bewunderte ich in Ihnen<lb/>
die Allmacht der Natur. Wie es ihr möglich war,<lb/>
ein Ge&#x017F;chöpf in Men&#x017F;chenge&#x017F;talt ohne Blut und Herz<lb/>
zu bilden! Sie waren mir neu, intere&#x017F;&#x017F;ant, ich<lb/>
wollte Sie &#x017F;tudiren. Ich klopfte an, ob nicht irgend¬<lb/>
wo eine &#x017F;chwache Seite herausklinge &#x2014; aber kalter<lb/>
Marmor von außen und noch kälterer innen. Ich<lb/>
fragte mich, was bewegt denn die&#x017F;en Block, den irgend<lb/>
ein Dämon aus dem kalten Ge&#x017F;tein loshieb und ge¬<lb/>
meißelt in's Leben &#x017F;etzte, mit täu&#x017F;chender Men&#x017F;chen¬<lb/>
ähnlichkeit, aber er ward kein Men&#x017F;ch.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Einige wollen behaupten, der Egoismus &#x017F;ei<lb/>
es allein, der die&#x017F;en &#x2014; Marmorblock in Thätigkeit<lb/>
bringt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch<lb/>
an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Wie¬<lb/>
derhall. Es rau&#x017F;cht und &#x017F;trahlt zuweilen &#x017F;o harmo¬<lb/>
ni&#x017F;ch heraus, daß Sie blenden, berau&#x017F;chen, verführen.<lb/>
Sagen Sie, i&#x017F;t das Alles nur der Reflex eines Spie¬<lb/>
gels, den &#x017F;elb&#x017F;t nichts rührt? Haben Sie keine Seele,<lb/>
oder i&#x017F;t &#x017F;ie wie das Meer am Eispol, eingefroren<lb/>
&#x017F;eit ihrer Schöpfung?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Viel näher, theuer&#x017F;te Freundin, läge doch der<lb/>
Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter<lb/>
in's Leben rief. Warum &#x017F;o ungeheuer weit &#x017F;uchen<lb/>
im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, &#x017F;tatt<lb/>
Goethe's Mephi&#x017F;topheles zu citiren? <hi rendition="#g">Die</hi> Ehre er¬<lb/>
zeigten mir Andre, &#x017F;ie nannten mich den Gei&#x017F;t, der<lb/>
immer verneint. Höflichere hatten &#x017F;ogar die Freund¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[173/0183] „Nein! — Eigentlich bewunderte ich in Ihnen die Allmacht der Natur. Wie es ihr möglich war, ein Geſchöpf in Menſchengeſtalt ohne Blut und Herz zu bilden! Sie waren mir neu, intereſſant, ich wollte Sie ſtudiren. Ich klopfte an, ob nicht irgend¬ wo eine ſchwache Seite herausklinge — aber kalter Marmor von außen und noch kälterer innen. Ich fragte mich, was bewegt denn dieſen Block, den irgend ein Dämon aus dem kalten Geſtein loshieb und ge¬ meißelt in's Leben ſetzte, mit täuſchender Menſchen¬ ähnlichkeit, aber er ward kein Menſch.“ „Einige wollen behaupten, der Egoismus ſei es allein, der dieſen — Marmorblock in Thätigkeit bringt.“ „Aber die Lichter des Himmels blitzen Sie doch an, die Töne der Natur finden in Ihnen einen Wie¬ derhall. Es rauſcht und ſtrahlt zuweilen ſo harmo¬ niſch heraus, daß Sie blenden, berauſchen, verführen. Sagen Sie, iſt das Alles nur der Reflex eines Spie¬ gels, den ſelbſt nichts rührt? Haben Sie keine Seele, oder iſt ſie wie das Meer am Eispol, eingefroren ſeit ihrer Schöpfung?“ „Viel näher, theuerſte Freundin, läge doch der Vergleich mit dem Dämon, den der große Dichter in's Leben rief. Warum ſo ungeheuer weit ſuchen im Chaos des Möglichen und Unmöglichen, ſtatt Goethe's Mephiſtopheles zu citiren? Die Ehre er¬ zeigten mir Andre, ſie nannten mich den Geiſt, der immer verneint. Höflichere hatten ſogar die Freund¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/183
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/183>, abgerufen am 24.11.2024.