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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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"Die Luft dort ist mir zu streng."

"Was fesselt Sie hier?"

"Erlaucht wissen --"

"Unmöglich -- nein abscheulich -- das traue
ich Ihnen doch nicht im Ernst zu."

"Eine mariage de raison, weiter nichts. Wenn
wir mit den Leidenschaften und Phantasieen zu Rande
sind, behält die Vernunft das letzte Recht."

"Mir aus den Augen!"

"Was that Madame Braunbiegler, Euer Er¬
laucht Zorn zu erregen?"

"O mehr als abscheulich -- widerwärtig --
eine Versündigung gegen Geschmack, Gefühl, Aesthe¬
tik! An einen trunkenen Silen konnte die Nymphe
sich hängen, da war im Epheu holder Wahnsinn --
aber das Thier, das im Schlamme der Gemeinheit
sich wälzt, das wagten die Griechen selbst nicht --
Und mit Bewußtsein, klar sehend -- Mir aus den
Augen -- da ist die Treppe -- wenden Sie sich nicht
um -- Ich will Ihnen nicht wieder in's Gesicht
sehen -- nie, nimmermehr!"

Wandel hatte sich noch tiefer verneigt und -- er stand
schon auf der Treppe. Da aber wandte er sich doch um.
Es mußte ein eigner Blick sein. Sie ward roth und blaß:

"Erinnern Sie sich, rief sie ihm nach, daß Sie
keine Zeile Schriftliches von mir in Händen haben.
-- Ich kenne Sie nicht. -- Fort -- hinunter --
Scheusal -- schneller!"


„Die Luft dort iſt mir zu ſtreng.“

„Was feſſelt Sie hier?“

„Erlaucht wiſſen —“

„Unmöglich — nein abſcheulich — das traue
ich Ihnen doch nicht im Ernſt zu.“

„Eine mariage de raison, weiter nichts. Wenn
wir mit den Leidenſchaften und Phantaſieen zu Rande
ſind, behält die Vernunft das letzte Recht.“

„Mir aus den Augen!“

„Was that Madame Braunbiegler, Euer Er¬
laucht Zorn zu erregen?“

„O mehr als abſcheulich — widerwärtig —
eine Verſündigung gegen Geſchmack, Gefühl, Aeſthe¬
tik! An einen trunkenen Silen konnte die Nymphe
ſich hängen, da war im Epheu holder Wahnſinn —
aber das Thier, das im Schlamme der Gemeinheit
ſich wälzt, das wagten die Griechen ſelbſt nicht —
Und mit Bewußtſein, klar ſehend — Mir aus den
Augen — da iſt die Treppe — wenden Sie ſich nicht
um — Ich will Ihnen nicht wieder in's Geſicht
ſehen — nie, nimmermehr!“

Wandel hatte ſich noch tiefer verneigt und — er ſtand
ſchon auf der Treppe. Da aber wandte er ſich doch um.
Es mußte ein eigner Blick ſein. Sie ward roth und blaß:

„Erinnern Sie ſich, rief ſie ihm nach, daß Sie
keine Zeile Schriftliches von mir in Händen haben.
— Ich kenne Sie nicht. — Fort — hinunter —
Scheuſal — ſchneller!“


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[184/0194] „Die Luft dort iſt mir zu ſtreng.“ „Was feſſelt Sie hier?“ „Erlaucht wiſſen —“ „Unmöglich — nein abſcheulich — das traue ich Ihnen doch nicht im Ernſt zu.“ „Eine mariage de raison, weiter nichts. Wenn wir mit den Leidenſchaften und Phantaſieen zu Rande ſind, behält die Vernunft das letzte Recht.“ „Mir aus den Augen!“ „Was that Madame Braunbiegler, Euer Er¬ laucht Zorn zu erregen?“ „O mehr als abſcheulich — widerwärtig — eine Verſündigung gegen Geſchmack, Gefühl, Aeſthe¬ tik! An einen trunkenen Silen konnte die Nymphe ſich hängen, da war im Epheu holder Wahnſinn — aber das Thier, das im Schlamme der Gemeinheit ſich wälzt, das wagten die Griechen ſelbſt nicht — Und mit Bewußtſein, klar ſehend — Mir aus den Augen — da iſt die Treppe — wenden Sie ſich nicht um — Ich will Ihnen nicht wieder in's Geſicht ſehen — nie, nimmermehr!“ Wandel hatte ſich noch tiefer verneigt und — er ſtand ſchon auf der Treppe. Da aber wandte er ſich doch um. Es mußte ein eigner Blick ſein. Sie ward roth und blaß: „Erinnern Sie ſich, rief ſie ihm nach, daß Sie keine Zeile Schriftliches von mir in Händen haben. — Ich kenne Sie nicht. — Fort — hinunter — Scheuſal — ſchneller!“

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/194>, abgerufen am 23.11.2024.