Hause? Mit einem Worte: werden Sie mich ver¬ haften lassen?"
"Ich -- Sie? -- Das ist eine sonderbare Frage. Sind Sie denn angeklagt?"
"Qui s'excuse s'accuse, wollen Sie damit sagen. Wohlan, ich betrachte mich als ein Angeklagter, und frage Sie offen heraus: habe ich mich als ein Sur¬ veillirter zu betrachten, oder habe ich die Captur zu gewärtigen? Um Anordnungen wegen meiner Güter zu erlassen, liegt mir viel daran, es zu wissen, und ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir gradaus Ihre Absicht mittheilten."
"Die Criminaljustiz schreitet bei uns nur im Fall dringender Verdachtsgründe zur Captur."
"Nun, sind das für Ihre Justiz nicht dringende Gründe, daß eines intimen Umganges mit der Ge¬ heimräthin das Gerücht mich bezüchtigt, und ich räume es ein, es war mehr als Gerücht. Ich war fast täglich in ihrem Hause, ich führte ihre Geld¬ geschäfte, ich wußte um Dinge, die Niemand sonst weiß. Sie war eine nervös-hysterische Kranke, eines jener zartgestimmten Instrumente, die eine ganz be¬ sondere Behandlung erfordern, um nicht immer Dis¬ harmonien zu hören und von sich zu geben. Sie hatte einen Widerwillen gegen die Aerzte, welche sie nicht so zu behandeln verstanden, oder es nicht wollten. Ich mußte ihr kleine sympathetische Mittel verschrei¬ ben; es war oft Betrug dabei, das gestehe ich ganz offen, denn solche Kranke, die sich stets selbst täuschen,
Hauſe? Mit einem Worte: werden Sie mich ver¬ haften laſſen?“
„Ich — Sie? — Das iſt eine ſonderbare Frage. Sind Sie denn angeklagt?“
„Qui s'excuse s'accuse, wollen Sie damit ſagen. Wohlan, ich betrachte mich als ein Angeklagter, und frage Sie offen heraus: habe ich mich als ein Sur¬ veillirter zu betrachten, oder habe ich die Captur zu gewärtigen? Um Anordnungen wegen meiner Güter zu erlaſſen, liegt mir viel daran, es zu wiſſen, und ich würde Ihnen ſehr dankbar ſein, wenn Sie mir gradaus Ihre Abſicht mittheilten.“
„Die Criminaljuſtiz ſchreitet bei uns nur im Fall dringender Verdachtsgründe zur Captur.“
„Nun, ſind das für Ihre Juſtiz nicht dringende Gründe, daß eines intimen Umganges mit der Ge¬ heimräthin das Gerücht mich bezüchtigt, und ich räume es ein, es war mehr als Gerücht. Ich war faſt täglich in ihrem Hauſe, ich führte ihre Geld¬ geſchäfte, ich wußte um Dinge, die Niemand ſonſt weiß. Sie war eine nervös-hyſteriſche Kranke, eines jener zartgeſtimmten Inſtrumente, die eine ganz be¬ ſondere Behandlung erfordern, um nicht immer Dis¬ harmonien zu hören und von ſich zu geben. Sie hatte einen Widerwillen gegen die Aerzte, welche ſie nicht ſo zu behandeln verſtanden, oder es nicht wollten. Ich mußte ihr kleine ſympathetiſche Mittel verſchrei¬ ben; es war oft Betrug dabei, das geſtehe ich ganz offen, denn ſolche Kranke, die ſich ſtets ſelbſt täuſchen,
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[192/0202]
Hauſe? Mit einem Worte: werden Sie mich ver¬
haften laſſen?“
„Ich — Sie? — Das iſt eine ſonderbare Frage.
Sind Sie denn angeklagt?“
„Qui s'excuse s'accuse, wollen Sie damit ſagen.
Wohlan, ich betrachte mich als ein Angeklagter, und
frage Sie offen heraus: habe ich mich als ein Sur¬
veillirter zu betrachten, oder habe ich die Captur zu
gewärtigen? Um Anordnungen wegen meiner Güter
zu erlaſſen, liegt mir viel daran, es zu wiſſen, und
ich würde Ihnen ſehr dankbar ſein, wenn Sie mir
gradaus Ihre Abſicht mittheilten.“
„Die Criminaljuſtiz ſchreitet bei uns nur im
Fall dringender Verdachtsgründe zur Captur.“
„Nun, ſind das für Ihre Juſtiz nicht dringende
Gründe, daß eines intimen Umganges mit der Ge¬
heimräthin das Gerücht mich bezüchtigt, und ich
räume es ein, es war mehr als Gerücht. Ich
war faſt täglich in ihrem Hauſe, ich führte ihre Geld¬
geſchäfte, ich wußte um Dinge, die Niemand ſonſt
weiß. Sie war eine nervös-hyſteriſche Kranke, eines
jener zartgeſtimmten Inſtrumente, die eine ganz be¬
ſondere Behandlung erfordern, um nicht immer Dis¬
harmonien zu hören und von ſich zu geben. Sie
hatte einen Widerwillen gegen die Aerzte, welche ſie
nicht ſo zu behandeln verſtanden, oder es nicht wollten.
Ich mußte ihr kleine ſympathetiſche Mittel verſchrei¬
ben; es war oft Betrug dabei, das geſtehe ich ganz
offen, denn ſolche Kranke, die ſich ſtets ſelbſt täuſchen,
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/202>, abgerufen am 21.11.2024.
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