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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Magen überladen hatten. Alle sind wieder hergestellt.
Das ist ein leeres Stadtgeschwätz."

"Gott sei Dank! Aber, unter uns, wir Beide
waren im vorigen Jahre selbst Zeugen von der plötz¬
lichen, unerwarteten gefährlichen Erkrankung der Kin¬
der ihres Schwagers --"

"Die ebenfalls auf dem natürlichsten Wege von
der Welt erfolgte."

"Das konnte sein, Herr Regierungsrath. Aber
in Verbindung mit jenem nachfolgenden Factum ge¬
wann die Sache für mich -- ja, vor dem Richter ist
es Pflicht, die innerste Ueberzeugung auszusprechen
-- sie gewann dadurch ein mehr als bedenkliches
Ansehn."

Fuchsius blickte ihn verwundert an.

"Mein Herr Regierungsrath, Hamlets Wor
von dem zwischen Himmel und Erde hat eine Be¬
deutung, die wir mit unserer Philosophie nicht lösen.
Erklären Sie mir den Instinct der Kinder, der vielen
jungen Mädchen, die ohne allen Grund, ohne ein
denkbares Interesse, nur einem dunkeln Triebe fol¬
gend, Feuer anlegen. Wie viele ähnliche, grauenhafte
Erscheinungen zeigt die Criminalgeschichte aller Völ¬
ker, von sonderbaren Gelüsten, die zum Verbrechen,
zur entsetzlichsten Atrocität sonst gut geartete Seelen
antreiben. -- Die Lupinus hat keine Kinder, ich
weiß, wie der Mangel, die Sehnsucht danach auf
Saiten ihres Gemüths hämmert. Sie springt Nachts
aus dem Bette, wandelt umher, den Leuchter in der

Magen überladen hatten. Alle ſind wieder hergeſtellt.
Das iſt ein leeres Stadtgeſchwätz.“

„Gott ſei Dank! Aber, unter uns, wir Beide
waren im vorigen Jahre ſelbſt Zeugen von der plötz¬
lichen, unerwarteten gefährlichen Erkrankung der Kin¬
der ihres Schwagers —“

„Die ebenfalls auf dem natürlichſten Wege von
der Welt erfolgte.“

„Das konnte ſein, Herr Regierungsrath. Aber
in Verbindung mit jenem nachfolgenden Factum ge¬
wann die Sache für mich — ja, vor dem Richter iſt
es Pflicht, die innerſte Ueberzeugung auszuſprechen
— ſie gewann dadurch ein mehr als bedenkliches
Anſehn.“

Fuchſius blickte ihn verwundert an.

„Mein Herr Regierungsrath, Hamlets Wor
von dem zwiſchen Himmel und Erde hat eine Be¬
deutung, die wir mit unſerer Philoſophie nicht löſen.
Erklären Sie mir den Inſtinct der Kinder, der vielen
jungen Mädchen, die ohne allen Grund, ohne ein
denkbares Intereſſe, nur einem dunkeln Triebe fol¬
gend, Feuer anlegen. Wie viele ähnliche, grauenhafte
Erſcheinungen zeigt die Criminalgeſchichte aller Völ¬
ker, von ſonderbaren Gelüſten, die zum Verbrechen,
zur entſetzlichſten Atrocität ſonſt gut geartete Seelen
antreiben. — Die Lupinus hat keine Kinder, ich
weiß, wie der Mangel, die Sehnſucht danach auf
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[199/0209] Magen überladen hatten. Alle ſind wieder hergeſtellt. Das iſt ein leeres Stadtgeſchwätz.“ „Gott ſei Dank! Aber, unter uns, wir Beide waren im vorigen Jahre ſelbſt Zeugen von der plötz¬ lichen, unerwarteten gefährlichen Erkrankung der Kin¬ der ihres Schwagers —“ „Die ebenfalls auf dem natürlichſten Wege von der Welt erfolgte.“ „Das konnte ſein, Herr Regierungsrath. Aber in Verbindung mit jenem nachfolgenden Factum ge¬ wann die Sache für mich — ja, vor dem Richter iſt es Pflicht, die innerſte Ueberzeugung auszuſprechen — ſie gewann dadurch ein mehr als bedenkliches Anſehn.“ Fuchſius blickte ihn verwundert an. „Mein Herr Regierungsrath, Hamlets Wor von dem zwiſchen Himmel und Erde hat eine Be¬ deutung, die wir mit unſerer Philoſophie nicht löſen. Erklären Sie mir den Inſtinct der Kinder, der vielen jungen Mädchen, die ohne allen Grund, ohne ein denkbares Intereſſe, nur einem dunkeln Triebe fol¬ gend, Feuer anlegen. Wie viele ähnliche, grauenhafte Erſcheinungen zeigt die Criminalgeſchichte aller Völ¬ ker, von ſonderbaren Gelüſten, die zum Verbrechen, zur entſetzlichſten Atrocität ſonſt gut geartete Seelen antreiben. — Die Lupinus hat keine Kinder, ich weiß, wie der Mangel, die Sehnſucht danach auf Saiten ihres Gemüths hämmert. Sie ſpringt Nachts aus dem Bette, wandelt umher, den Leuchter in der

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/209>, abgerufen am 21.11.2024.