Hand -- so sagten mir wenigstens ihre Kammer¬ mädchen -- sie sucht an den Wänden und ruft: wo sind meine Kinder! Die Magie der Natur lehrt uns die Wahlverwandtschaft der Gegensätze. War der Prozeß so undenkbar, daß sie plötzlich das tödtlich haßte, was sie liebte und entbehrte, daß sie die glück¬ lichern Eltern, die sie beneidete, verfolgte! Es ist ein schauerliches Geheimniß der Natur, eine Exception von der Regel, aber diese ganze Frau ist eine Ano¬ malie. Angenommen dies, konnte ich sie nicht ver¬ theidigen, vielleicht nicht mal entschuldigen, aber als mitfühlender Nebenmensch konnte ich an ihre That glauben und sie doch nicht verdammen."
"Ich kann Ihnen die Beruhigung geben, sagte Fuchsius, daß so wenig als die Schulkinder in den Zelten durch Kaffee, die der Lupinus durch die Cho¬ colate vergiftet sind."
Wandel richtete sich auf, ein tiefer Athemzug schien ihn zu erleichtern und sein Gesicht klärte sich auf. Ehe Fuchsius sich dessen versah, fühlte er sich embrassirt:
"Mein theuerster -- Sie edler Mann, Ihr Wort ist Leben. Es hat eine Last, eine Angst, eine unbeschreibliche Angst von seinem Herzen gewälzt. Sie war rein, ich bin der Sünder, der das für mög¬ lich hielt, der mit seinem heillosen Argwohn -- o Gott, ich weiß nicht, was ich rede -- Dank, tausend Mal Dank, sie ist gerettet --"
"Gemach, mein Herr!"
Hand — ſo ſagten mir wenigſtens ihre Kammer¬ mädchen — ſie ſucht an den Wänden und ruft: wo ſind meine Kinder! Die Magie der Natur lehrt uns die Wahlverwandtſchaft der Gegenſätze. War der Prozeß ſo undenkbar, daß ſie plötzlich das tödtlich haßte, was ſie liebte und entbehrte, daß ſie die glück¬ lichern Eltern, die ſie beneidete, verfolgte! Es iſt ein ſchauerliches Geheimniß der Natur, eine Exception von der Regel, aber dieſe ganze Frau iſt eine Ano¬ malie. Angenommen dies, konnte ich ſie nicht ver¬ theidigen, vielleicht nicht mal entſchuldigen, aber als mitfühlender Nebenmenſch konnte ich an ihre That glauben und ſie doch nicht verdammen.“
„Ich kann Ihnen die Beruhigung geben, ſagte Fuchſius, daß ſo wenig als die Schulkinder in den Zelten durch Kaffee, die der Lupinus durch die Cho¬ colate vergiftet ſind.“
Wandel richtete ſich auf, ein tiefer Athemzug ſchien ihn zu erleichtern und ſein Geſicht klärte ſich auf. Ehe Fuchſius ſich deſſen verſah, fühlte er ſich embraſſirt:
„Mein theuerſter — Sie edler Mann, Ihr Wort iſt Leben. Es hat eine Laſt, eine Angſt, eine unbeſchreibliche Angſt von ſeinem Herzen gewälzt. Sie war rein, ich bin der Sünder, der das für mög¬ lich hielt, der mit ſeinem heilloſen Argwohn — o Gott, ich weiß nicht, was ich rede — Dank, tauſend Mal Dank, ſie iſt gerettet —“
„Gemach, mein Herr!“
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Hand — ſo ſagten mir wenigſtens ihre Kammer¬
mädchen — ſie ſucht an den Wänden und ruft:
wo ſind meine Kinder! Die Magie der Natur lehrt
uns die Wahlverwandtſchaft der Gegenſätze. War
der Prozeß ſo undenkbar, daß ſie plötzlich das tödtlich
haßte, was ſie liebte und entbehrte, daß ſie die glück¬
lichern Eltern, die ſie beneidete, verfolgte! Es iſt ein
ſchauerliches Geheimniß der Natur, eine Exception
von der Regel, aber dieſe ganze Frau iſt eine Ano¬
malie. Angenommen dies, konnte ich ſie nicht ver¬
theidigen, vielleicht nicht mal entſchuldigen, aber als
mitfühlender Nebenmenſch konnte ich an ihre That
glauben und ſie doch nicht verdammen.“
„Ich kann Ihnen die Beruhigung geben, ſagte
Fuchſius, daß ſo wenig als die Schulkinder in den
Zelten durch Kaffee, die der Lupinus durch die Cho¬
colate vergiftet ſind.“
Wandel richtete ſich auf, ein tiefer Athemzug
ſchien ihn zu erleichtern und ſein Geſicht klärte ſich
auf. Ehe Fuchſius ſich deſſen verſah, fühlte er ſich
embraſſirt:
„Mein theuerſter — Sie edler Mann, Ihr
Wort iſt Leben. Es hat eine Laſt, eine Angſt, eine
unbeſchreibliche Angſt von ſeinem Herzen gewälzt.
Sie war rein, ich bin der Sünder, der das für mög¬
lich hielt, der mit ſeinem heilloſen Argwohn — o Gott,
ich weiß nicht, was ich rede — Dank, tauſend Mal
Dank, ſie iſt gerettet —“
„Gemach, mein Herr!“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/210>, abgerufen am 21.11.2024.
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