Wandel fuhr mit beiden Händen an die Stirn, der Hut flog ab, er selbst sank auf einen Stuhl, einige Minuten sprachlos:
"Dann bin ich sein Mörder -- ich verschulde indirect seinen Tod -- ich gab den Rathschlag."
"Erklären Sie sich deutlicher, wenn ich bitten darf. Es ist vermuthlich nur eine Phantasie."
"Nein, Wahrheit! Der Mensch litt an einem perennirenden kalten Fieber -- Die Aerzte hatten es nicht erkannt, getäuscht durch zufällige Symptome. Heim macht jetzt Versuche, das Wechselfieber mit Ar¬ senik zu kuriren. Er wendet es bei Unbemittelten an, seit die China durch den gehemmten ostindi¬ schen Handel so enorm aufschlug. Ich erzählte in einer Gesellschaft von der ersten glücklichen Kur. -- Jetzt entsinne ich mich, die Lupinus hörte mit beson¬ derer Aufmerksamkeit zu -- dieser Blick, den ich damals nicht verstand! -- Ihre Wißbegierde, ihre unselige Lust, alles Gewagte zu versuchen -- o arme Freundin, jetzt wird mir Alles klar, und ich -- dein Mörder!"
"Wollen Sie mich jetzt verhaften lassen; Sie haben ja ein vollständiges Bekenntniß!" sprach der Legationsrath aufstehend.
Fuchsius hat ihn nicht verhaften lassen; aber als er jetzt hinaus war, um nicht wiederzukehren, sagte der Regierungsrath: "So kann man sich in einem Menschen täuschen. Das ist der Fluch der vor¬ gefaßten Meinungen."
„Unzweifelhaftes Arſenikpräparat.“
Wandel fuhr mit beiden Händen an die Stirn, der Hut flog ab, er ſelbſt ſank auf einen Stuhl, einige Minuten ſprachlos:
„Dann bin ich ſein Mörder — ich verſchulde indirect ſeinen Tod — ich gab den Rathſchlag.“
„Erklären Sie ſich deutlicher, wenn ich bitten darf. Es iſt vermuthlich nur eine Phantaſie.“
„Nein, Wahrheit! Der Menſch litt an einem perennirenden kalten Fieber — Die Aerzte hatten es nicht erkannt, getäuſcht durch zufällige Symptome. Heim macht jetzt Verſuche, das Wechſelfieber mit Ar¬ ſenik zu kuriren. Er wendet es bei Unbemittelten an, ſeit die China durch den gehemmten oſtindi¬ ſchen Handel ſo enorm aufſchlug. Ich erzählte in einer Geſellſchaft von der erſten glücklichen Kur. — Jetzt entſinne ich mich, die Lupinus hörte mit beſon¬ derer Aufmerkſamkeit zu — dieſer Blick, den ich damals nicht verſtand! — Ihre Wißbegierde, ihre unſelige Luſt, alles Gewagte zu verſuchen — o arme Freundin, jetzt wird mir Alles klar, und ich — dein Mörder!“
„Wollen Sie mich jetzt verhaften laſſen; Sie haben ja ein vollſtändiges Bekenntniß!“ ſprach der Legationsrath aufſtehend.
Fuchſius hat ihn nicht verhaften laſſen; aber als er jetzt hinaus war, um nicht wiederzukehren, ſagte der Regierungsrath: „So kann man ſich in einem Menſchen täuſchen. Das iſt der Fluch der vor¬ gefaßten Meinungen.“
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„Unzweifelhaftes Arſenikpräparat.“
Wandel fuhr mit beiden Händen an die Stirn,
der Hut flog ab, er ſelbſt ſank auf einen Stuhl,
einige Minuten ſprachlos:
„Dann bin ich ſein Mörder — ich verſchulde
indirect ſeinen Tod — ich gab den Rathſchlag.“
„Erklären Sie ſich deutlicher, wenn ich bitten
darf. Es iſt vermuthlich nur eine Phantaſie.“
„Nein, Wahrheit! Der Menſch litt an einem
perennirenden kalten Fieber — Die Aerzte hatten es
nicht erkannt, getäuſcht durch zufällige Symptome.
Heim macht jetzt Verſuche, das Wechſelfieber mit Ar¬
ſenik zu kuriren. Er wendet es bei Unbemittelten
an, ſeit die China durch den gehemmten oſtindi¬
ſchen Handel ſo enorm aufſchlug. Ich erzählte in
einer Geſellſchaft von der erſten glücklichen Kur. —
Jetzt entſinne ich mich, die Lupinus hörte mit beſon¬
derer Aufmerkſamkeit zu — dieſer Blick, den ich damals
nicht verſtand! — Ihre Wißbegierde, ihre unſelige
Luſt, alles Gewagte zu verſuchen — o arme Freundin,
jetzt wird mir Alles klar, und ich — dein Mörder!“
„Wollen Sie mich jetzt verhaften laſſen; Sie
haben ja ein vollſtändiges Bekenntniß!“ ſprach der
Legationsrath aufſtehend.
Fuchſius hat ihn nicht verhaften laſſen; aber
als er jetzt hinaus war, um nicht wiederzukehren,
ſagte der Regierungsrath: „So kann man ſich in
einem Menſchen täuſchen. Das iſt der Fluch der vor¬
gefaßten Meinungen.“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/216>, abgerufen am 21.11.2024.
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