Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

schaffen, um sich aufzuessen -- aber es ist doch eine
schöne Aussicht, wenn man einmal Kehraus machte
mit diesem Cultus des Geistes, dieser Ideenherr¬
schaft, wenn alle die Idole stürzten, eines nach dem
andern, die der übermüthige Menschengeist aus Erz
und Marmor aufrichtete. Sie streckten ihre Arme bis
in die Sterne, aber sie standen auf thönernen Füßen."

An der Thür war der Gesandte noch einmal
umgekehrt, und zog ein gedrucktes Blatt aus der
Brusttasche: "A propos, Prinzessin, Sie kennen ver¬
muthlich dies noch nicht. Ein Correcturabzug, durch
Zufall mir in die Hände gerathen, ein Avantcoureur
des kommenden Manifestes, in die Erfurter Zeitung
gestreut. Bemerken Sie den Passus!"

Die Fürstin überflog das Blatt: ""Nicht bloß
""Preußen, die deutsche Nation sollte, ihrer
""Selbstständigkeit beraubt, aus der Reihe un¬
""abhängiger Völker gestoßen, einer fremden Sou¬
""verainität untergeordnet werden. Diesem Schlage,
""dem schrecklichsten, der Deutschland noch treffen
""könnte, zu begegnen, ehe es zu spät ist, dieses ist,
""nach glaubwürdigen Nachrichten, der einzige Zweck
""von Preußens gegenwärtiger Rüstung.""

"Qu'en dites-vous, Madame? Preußen rüstet
nicht für sich, sondern für die deutsche Nation! Wenn
es nicht so entsetzlich naiv wäre, könnten Andre als
wir vor den Consequenzen erschrecken. Aber ich hoffe,
man wird weder in der Hofburg zu Wien blaß wer¬
den, noch in Sanct Petersburg roth, noch wird mein

ſchaffen, um ſich aufzueſſen — aber es iſt doch eine
ſchöne Ausſicht, wenn man einmal Kehraus machte
mit dieſem Cultus des Geiſtes, dieſer Ideenherr¬
ſchaft, wenn alle die Idole ſtürzten, eines nach dem
andern, die der übermüthige Menſchengeiſt aus Erz
und Marmor aufrichtete. Sie ſtreckten ihre Arme bis
in die Sterne, aber ſie ſtanden auf thönernen Füßen.“

An der Thür war der Geſandte noch einmal
umgekehrt, und zog ein gedrucktes Blatt aus der
Bruſttaſche: „A propos, Prinzeſſin, Sie kennen ver¬
muthlich dies noch nicht. Ein Correcturabzug, durch
Zufall mir in die Hände gerathen, ein Avantcoureur
des kommenden Manifeſtes, in die Erfurter Zeitung
geſtreut. Bemerken Sie den Paſſus!“

Die Fürſtin überflog das Blatt: „„Nicht bloß
„„Preußen, die deutſche Nation ſollte, ihrer
„„Selbſtſtändigkeit beraubt, aus der Reihe un¬
„„abhängiger Völker geſtoßen, einer fremden Sou¬
„„verainität untergeordnet werden. Dieſem Schlage,
„„dem ſchrecklichſten, der Deutſchland noch treffen
„„könnte, zu begegnen, ehe es zu ſpät iſt, dieſes iſt,
„„nach glaubwürdigen Nachrichten, der einzige Zweck
„„von Preußens gegenwärtiger Rüſtung.““

„Qu'en dites-vous, Madame? Preußen rüſtet
nicht für ſich, ſondern für die deutſche Nation! Wenn
es nicht ſo entſetzlich naiv wäre, könnten Andre als
wir vor den Conſequenzen erſchrecken. Aber ich hoffe,
man wird weder in der Hofburg zu Wien blaß wer¬
den, noch in Sanct Petersburg roth, noch wird mein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0234" n="224"/>
&#x017F;chaffen, um &#x017F;ich aufzue&#x017F;&#x017F;en &#x2014; aber es i&#x017F;t doch eine<lb/>
&#x017F;chöne Aus&#x017F;icht, wenn man einmal Kehraus machte<lb/>
mit die&#x017F;em Cultus des Gei&#x017F;tes, die&#x017F;er Ideenherr¬<lb/>
&#x017F;chaft, wenn alle die Idole &#x017F;türzten, eines nach dem<lb/>
andern, die der übermüthige Men&#x017F;chengei&#x017F;t aus Erz<lb/>
und Marmor aufrichtete. Sie &#x017F;treckten ihre Arme bis<lb/>
in die Sterne, aber &#x017F;ie &#x017F;tanden auf thönernen Füßen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>An der Thür war der Ge&#x017F;andte noch einmal<lb/>
umgekehrt, und zog ein gedrucktes Blatt aus der<lb/>
Bru&#x017F;tta&#x017F;che: &#x201E;<hi rendition="#aq">A propos</hi>, Prinze&#x017F;&#x017F;in, Sie kennen ver¬<lb/>
muthlich dies noch nicht. Ein Correcturabzug, durch<lb/>
Zufall mir in die Hände gerathen, ein Avantcoureur<lb/>
des kommenden Manife&#x017F;tes, in die Erfurter Zeitung<lb/>
ge&#x017F;treut. Bemerken Sie den Pa&#x017F;&#x017F;us!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Die Für&#x017F;tin überflog das Blatt: &#x201E;&#x201E;Nicht bloß<lb/>
&#x201E;&#x201E;Preußen, <hi rendition="#g">die deut&#x017F;che Nation</hi> &#x017F;ollte, ihrer<lb/>
&#x201E;&#x201E;<hi rendition="#g">Selb&#x017F;t&#x017F;tändigkeit</hi> beraubt, aus der Reihe <hi rendition="#g">un¬</hi><lb/>
&#x201E;&#x201E;<hi rendition="#g">abhängiger</hi> Völker ge&#x017F;toßen, einer fremden Sou¬<lb/>
&#x201E;&#x201E;verainität untergeordnet werden. Die&#x017F;em Schlage,<lb/>
&#x201E;&#x201E;dem &#x017F;chrecklich&#x017F;ten, der <hi rendition="#g">Deut&#x017F;chland</hi> noch treffen<lb/>
&#x201E;&#x201E;könnte, zu begegnen, ehe es zu &#x017F;pät i&#x017F;t, die&#x017F;es i&#x017F;t,<lb/>
&#x201E;&#x201E;nach glaubwürdigen Nachrichten, <hi rendition="#g">der einzige Zweck</hi><lb/>
&#x201E;&#x201E;<hi rendition="#g">von Preußens gegenwärtiger Rü&#x017F;tung</hi>.&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#aq">&#x201E;Qu'en dites-vous, Madame?</hi> Preußen rü&#x017F;tet<lb/>
nicht für &#x017F;ich, &#x017F;ondern für die deut&#x017F;che Nation! Wenn<lb/>
es nicht &#x017F;o ent&#x017F;etzlich naiv wäre, könnten Andre als<lb/>
wir vor den Con&#x017F;equenzen er&#x017F;chrecken. Aber ich hoffe,<lb/>
man wird weder in der Hofburg zu Wien blaß wer¬<lb/>
den, noch in Sanct Petersburg roth, noch wird mein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[224/0234] ſchaffen, um ſich aufzueſſen — aber es iſt doch eine ſchöne Ausſicht, wenn man einmal Kehraus machte mit dieſem Cultus des Geiſtes, dieſer Ideenherr¬ ſchaft, wenn alle die Idole ſtürzten, eines nach dem andern, die der übermüthige Menſchengeiſt aus Erz und Marmor aufrichtete. Sie ſtreckten ihre Arme bis in die Sterne, aber ſie ſtanden auf thönernen Füßen.“ An der Thür war der Geſandte noch einmal umgekehrt, und zog ein gedrucktes Blatt aus der Bruſttaſche: „A propos, Prinzeſſin, Sie kennen ver¬ muthlich dies noch nicht. Ein Correcturabzug, durch Zufall mir in die Hände gerathen, ein Avantcoureur des kommenden Manifeſtes, in die Erfurter Zeitung geſtreut. Bemerken Sie den Paſſus!“ Die Fürſtin überflog das Blatt: „„Nicht bloß „„Preußen, die deutſche Nation ſollte, ihrer „„Selbſtſtändigkeit beraubt, aus der Reihe un¬ „„abhängiger Völker geſtoßen, einer fremden Sou¬ „„verainität untergeordnet werden. Dieſem Schlage, „„dem ſchrecklichſten, der Deutſchland noch treffen „„könnte, zu begegnen, ehe es zu ſpät iſt, dieſes iſt, „„nach glaubwürdigen Nachrichten, der einzige Zweck „„von Preußens gegenwärtiger Rüſtung.““ „Qu'en dites-vous, Madame? Preußen rüſtet nicht für ſich, ſondern für die deutſche Nation! Wenn es nicht ſo entſetzlich naiv wäre, könnten Andre als wir vor den Conſequenzen erſchrecken. Aber ich hoffe, man wird weder in der Hofburg zu Wien blaß wer¬ den, noch in Sanct Petersburg roth, noch wird mein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/234
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/234>, abgerufen am 17.05.2024.