Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

ßen. Der Wagen schwankte und fiel auf die Seite
über, ohne doch ganz fallen zu können, der Hühner¬
korb aber brach, stürzte, und die gefiederten Inne¬
wohner, so weit sie nicht von den Zeltstangen getöd¬
tet waren, krochen, flatterten und flogen heraus. Da
der Korb nach der Seite der Hecke übergestürzt war,
entlud sich die lebendige Bescherung in den Garten.
Die Hühner, in glücklichem Rettungs-Instinct, dräng¬
ten sich nicht wie die Schaafe in einen Keil, sondern
über Köpfe und Tische flatternd, krochen sie hier un¬
ter die Hecke, dort zwischen die Beine der Gäste oder
suchten in sympathetischem Zuge den Hühnerstall des
Kafetiers. Der Aufruhr war damit in den Garten
getragen.

Wo war die Disciplin, wenn rohe Trainknechte
über die Hecke auf den Tisch springen konnten, wenn
die Gläser von Stabsofficieren unterm wuchtigen
Tritt ihrer gespornten Reiterstiefel zitterten, wenn
sie ohne Rücksicht auf Orden und Epauletten, nicht
einmal die Honneurs machend, auf die Erde platzten,
wenn entlaufenes Federvieh für diese Menschen alle
Rücksichten, die der Autorität gebühren, aufwog!

Wo, wenn selbst ordnungsliebende Bürger nicht
davor schauderten, sondern es in der Ordnung fan¬
den, denn durch den Garten verbreitete sich ein ge¬
flügeltes Gerücht. "Es sind ja Obrist Köckeritzens
Truthähne!" -- "Nein, riefen andre Stimmen, es
sind Excellenz Feldmarschall Möllendorfs Puthühner!"

Verwirrung und allgemeine Verfolgung. Die

ßen. Der Wagen ſchwankte und fiel auf die Seite
über, ohne doch ganz fallen zu können, der Hühner¬
korb aber brach, ſtürzte, und die gefiederten Inne¬
wohner, ſo weit ſie nicht von den Zeltſtangen getöd¬
tet waren, krochen, flatterten und flogen heraus. Da
der Korb nach der Seite der Hecke übergeſtürzt war,
entlud ſich die lebendige Beſcherung in den Garten.
Die Hühner, in glücklichem Rettungs-Inſtinct, dräng¬
ten ſich nicht wie die Schaafe in einen Keil, ſondern
über Köpfe und Tiſche flatternd, krochen ſie hier un¬
ter die Hecke, dort zwiſchen die Beine der Gäſte oder
ſuchten in ſympathetiſchem Zuge den Hühnerſtall des
Kafetiers. Der Aufruhr war damit in den Garten
getragen.

Wo war die Disciplin, wenn rohe Trainknechte
über die Hecke auf den Tiſch ſpringen konnten, wenn
die Gläſer von Stabsofficieren unterm wuchtigen
Tritt ihrer geſpornten Reiterſtiefel zitterten, wenn
ſie ohne Rückſicht auf Orden und Epauletten, nicht
einmal die Honneurs machend, auf die Erde platzten,
wenn entlaufenes Federvieh für dieſe Menſchen alle
Rückſichten, die der Autorität gebühren, aufwog!

Wo, wenn ſelbſt ordnungsliebende Bürger nicht
davor ſchauderten, ſondern es in der Ordnung fan¬
den, denn durch den Garten verbreitete ſich ein ge¬
flügeltes Gerücht. „Es ſind ja Obriſt Köckeritzens
Truthähne!“ — „Nein, riefen andre Stimmen, es
ſind Excellenz Feldmarſchall Möllendorfs Puthühner!“

Verwirrung und allgemeine Verfolgung. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0249" n="239"/>
ßen. Der Wagen &#x017F;chwankte und fiel auf die Seite<lb/>
über, ohne doch ganz fallen zu können, der Hühner¬<lb/>
korb aber brach, &#x017F;türzte, und die gefiederten Inne¬<lb/>
wohner, &#x017F;o weit &#x017F;ie nicht von den Zelt&#x017F;tangen getöd¬<lb/>
tet waren, krochen, flatterten und flogen heraus. Da<lb/>
der Korb nach der Seite der Hecke überge&#x017F;türzt war,<lb/>
entlud &#x017F;ich die lebendige Be&#x017F;cherung in den Garten.<lb/>
Die Hühner, in glücklichem Rettungs-In&#x017F;tinct, dräng¬<lb/>
ten &#x017F;ich nicht wie die Schaafe in einen Keil, &#x017F;ondern<lb/>
über Köpfe und Ti&#x017F;che flatternd, krochen &#x017F;ie hier un¬<lb/>
ter die Hecke, dort zwi&#x017F;chen die Beine der Gä&#x017F;te oder<lb/>
&#x017F;uchten in &#x017F;ympatheti&#x017F;chem Zuge den Hühner&#x017F;tall des<lb/>
Kafetiers. Der Aufruhr war damit in den Garten<lb/>
getragen.</p><lb/>
        <p>Wo war die Disciplin, wenn rohe Trainknechte<lb/>
über die Hecke auf den Ti&#x017F;ch &#x017F;pringen konnten, wenn<lb/>
die Glä&#x017F;er von Stabsofficieren unterm wuchtigen<lb/>
Tritt ihrer ge&#x017F;pornten Reiter&#x017F;tiefel zitterten, wenn<lb/>
&#x017F;ie ohne Rück&#x017F;icht auf Orden und Epauletten, nicht<lb/>
einmal die Honneurs machend, auf die Erde platzten,<lb/>
wenn entlaufenes Federvieh für die&#x017F;e Men&#x017F;chen alle<lb/>
Rück&#x017F;ichten, die der Autorität gebühren, aufwog!</p><lb/>
        <p>Wo, wenn &#x017F;elb&#x017F;t ordnungsliebende Bürger nicht<lb/>
davor &#x017F;chauderten, &#x017F;ondern es in der Ordnung fan¬<lb/>
den, denn durch den Garten verbreitete &#x017F;ich ein ge¬<lb/>
flügeltes Gerücht. &#x201E;Es &#x017F;ind ja Obri&#x017F;t Köckeritzens<lb/>
Truthähne!&#x201C; &#x2014; &#x201E;Nein, riefen andre Stimmen, es<lb/>
&#x017F;ind Excellenz Feldmar&#x017F;chall Möllendorfs Puthühner!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Verwirrung und allgemeine Verfolgung. Die<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0249] ßen. Der Wagen ſchwankte und fiel auf die Seite über, ohne doch ganz fallen zu können, der Hühner¬ korb aber brach, ſtürzte, und die gefiederten Inne¬ wohner, ſo weit ſie nicht von den Zeltſtangen getöd¬ tet waren, krochen, flatterten und flogen heraus. Da der Korb nach der Seite der Hecke übergeſtürzt war, entlud ſich die lebendige Beſcherung in den Garten. Die Hühner, in glücklichem Rettungs-Inſtinct, dräng¬ ten ſich nicht wie die Schaafe in einen Keil, ſondern über Köpfe und Tiſche flatternd, krochen ſie hier un¬ ter die Hecke, dort zwiſchen die Beine der Gäſte oder ſuchten in ſympathetiſchem Zuge den Hühnerſtall des Kafetiers. Der Aufruhr war damit in den Garten getragen. Wo war die Disciplin, wenn rohe Trainknechte über die Hecke auf den Tiſch ſpringen konnten, wenn die Gläſer von Stabsofficieren unterm wuchtigen Tritt ihrer geſpornten Reiterſtiefel zitterten, wenn ſie ohne Rückſicht auf Orden und Epauletten, nicht einmal die Honneurs machend, auf die Erde platzten, wenn entlaufenes Federvieh für dieſe Menſchen alle Rückſichten, die der Autorität gebühren, aufwog! Wo, wenn ſelbſt ordnungsliebende Bürger nicht davor ſchauderten, ſondern es in der Ordnung fan¬ den, denn durch den Garten verbreitete ſich ein ge¬ flügeltes Gerücht. „Es ſind ja Obriſt Köckeritzens Truthähne!“ — „Nein, riefen andre Stimmen, es ſind Excellenz Feldmarſchall Möllendorfs Puthühner!“ Verwirrung und allgemeine Verfolgung. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/249
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/249>, abgerufen am 17.05.2024.