Und diesen selben Bovillard, der mit ihr und dem Rittmeister ein so grausames Spiel gespielt, dem sie in ihrer Entrüstung geschworen, nie mehr in's Gesicht zu sehen, traf sie an dem einsamen Orte, er kam grad auf sie zu, und hob grade den Kopf, den er gesenkt trug, ehe sie ausweichen konnte. Zu an¬ drer Zeit kochte es in ihr, ihm Sottisen oder die Wahrheit zu sagen, was sollte sie ihm jetzt sagen, wenn er mit seinem medisanten Witze sie raillirte!
Ach, aber der Geheimrath war ein Anderer, in kurzer Zeit schien er um Jahre älter geworden. Wo¬ hin war der elastische Schritt, die Jugendlichkeit, die er im Umgange affectirte? Er ging bedächtig und gesenkten Hauptes. Er litt an fixen Ideen, sagte man. War es sein Stammbaum, dessen Wurzeln bis zur Schöpfung der Welt zurückwuchsen, was sei¬ nen Blick auf der Erde wurzeln ließ? Man hielt es nur für eine momentane Phantasie des aufgeklärten Lebemannes; er benutze sie, um seinem Depit gegen die Verbindung seines Sohnes mit der Demoiselle Alltag einen scheinbaren Grund unterzulegen. Er litt, wer sollte es glauben, an einer andern Idee, die er zwar nicht deutlich aussprach, aber aus seinen hervorgestoßenen Reden erschien es, daß er an ge¬ wissen Tagen sich für vergiftet hielt, von wem an¬ ders, als der Lupinus! Auf vernünftige Vorstellun¬ gen gab der vernünftige Mann zu, daß dies unmög¬ lich sei, da er jede gesellige Berührung mit ihr ver¬ mieden hatte; aber er nahm doch in jenen Tagen viele
Und dieſen ſelben Bovillard, der mit ihr und dem Rittmeiſter ein ſo grauſames Spiel geſpielt, dem ſie in ihrer Entrüſtung geſchworen, nie mehr in's Geſicht zu ſehen, traf ſie an dem einſamen Orte, er kam grad auf ſie zu, und hob grade den Kopf, den er geſenkt trug, ehe ſie ausweichen konnte. Zu an¬ drer Zeit kochte es in ihr, ihm Sottiſen oder die Wahrheit zu ſagen, was ſollte ſie ihm jetzt ſagen, wenn er mit ſeinem mediſanten Witze ſie raillirte!
Ach, aber der Geheimrath war ein Anderer, in kurzer Zeit ſchien er um Jahre älter geworden. Wo¬ hin war der elaſtiſche Schritt, die Jugendlichkeit, die er im Umgange affectirte? Er ging bedächtig und geſenkten Hauptes. Er litt an fixen Ideen, ſagte man. War es ſein Stammbaum, deſſen Wurzeln bis zur Schöpfung der Welt zurückwuchſen, was ſei¬ nen Blick auf der Erde wurzeln ließ? Man hielt es nur für eine momentane Phantaſie des aufgeklärten Lebemannes; er benutze ſie, um ſeinem Depit gegen die Verbindung ſeines Sohnes mit der Demoiſelle Alltag einen ſcheinbaren Grund unterzulegen. Er litt, wer ſollte es glauben, an einer andern Idee, die er zwar nicht deutlich ausſprach, aber aus ſeinen hervorgeſtoßenen Reden erſchien es, daß er an ge¬ wiſſen Tagen ſich für vergiftet hielt, von wem an¬ ders, als der Lupinus! Auf vernünftige Vorſtellun¬ gen gab der vernünftige Mann zu, daß dies unmög¬ lich ſei, da er jede geſellige Berührung mit ihr ver¬ mieden hatte; aber er nahm doch in jenen Tagen viele
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Und dieſen ſelben Bovillard, der mit ihr und
dem Rittmeiſter ein ſo grauſames Spiel geſpielt, dem
ſie in ihrer Entrüſtung geſchworen, nie mehr in's
Geſicht zu ſehen, traf ſie an dem einſamen Orte, er
kam grad auf ſie zu, und hob grade den Kopf, den
er geſenkt trug, ehe ſie ausweichen konnte. Zu an¬
drer Zeit kochte es in ihr, ihm Sottiſen oder die
Wahrheit zu ſagen, was ſollte ſie ihm jetzt ſagen,
wenn er mit ſeinem mediſanten Witze ſie raillirte!
Ach, aber der Geheimrath war ein Anderer, in
kurzer Zeit ſchien er um Jahre älter geworden. Wo¬
hin war der elaſtiſche Schritt, die Jugendlichkeit, die
er im Umgange affectirte? Er ging bedächtig und
geſenkten Hauptes. Er litt an fixen Ideen, ſagte
man. War es ſein Stammbaum, deſſen Wurzeln
bis zur Schöpfung der Welt zurückwuchſen, was ſei¬
nen Blick auf der Erde wurzeln ließ? Man hielt es
nur für eine momentane Phantaſie des aufgeklärten
Lebemannes; er benutze ſie, um ſeinem Depit gegen
die Verbindung ſeines Sohnes mit der Demoiſelle
Alltag einen ſcheinbaren Grund unterzulegen. Er
litt, wer ſollte es glauben, an einer andern Idee,
die er zwar nicht deutlich ausſprach, aber aus ſeinen
hervorgeſtoßenen Reden erſchien es, daß er an ge¬
wiſſen Tagen ſich für vergiftet hielt, von wem an¬
ders, als der Lupinus! Auf vernünftige Vorſtellun¬
gen gab der vernünftige Mann zu, daß dies unmög¬
lich ſei, da er jede geſellige Berührung mit ihr ver¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/260>, abgerufen am 24.11.2024.
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