gemacht, was sie sei. Rührung war weder sonst noch jetzt das Departement des Geheimen Kriegsrathes. Die Geheimräthin brachte selten das Tuch von den Augen. Sie unterhielt sich mit dem alten Rittgarten, er mußte ihr vom Krieg erzählen, wie weit man sich herangetrauen könne ohne Gefahr, ob die Franzosen auch auf Frauenzimmer schössen? Nie war sonst ihren Gedanken etwas entfernter gewesen. "Sie ist noch gar nicht gereist, das Kind, einmal nur bis Potsdam, und nun muß ihre erste Reise gleich in den Krieg sein! -- Wer hätte das nur als möglich gedacht; es wird doch Alles anders, als es sonst war."
"Alles -- Alles!" sagte der alte Major, den Kopf schüttelnd, die Pfeife mußte ihm heut nicht schmecken.
"'S ist Fügung des Himmels; das muß uns wohl trösten, sagte die Geheime Kriegsräthin, aber -- aber --"
"Der Himmel fügt es, daß Alles aus dem Ge¬ füge geht, und es wird noch mehr losgehen. Er weiß, warum. Es muß wohl nicht recht zusammengefügt gewesen sein."
Eine Conversation kam nicht auf. Wer zu sprechen anfing, brach plötzlich ab, im Gefühl, daß es Wich¬ tigeres zu sprechen gab, und die Zeit war kostbar. Und dann hatte Jeder mit dem Andern etwas Beson¬ deres zu sprechen. Wenn er fortgegangen, fiel ihm ein, daß er das vergessen, was ihm besonders auf dem Herzen lag. Welch ein Strom mütterlicher Er¬
gemacht, was ſie ſei. Rührung war weder ſonſt noch jetzt das Departement des Geheimen Kriegsrathes. Die Geheimräthin brachte ſelten das Tuch von den Augen. Sie unterhielt ſich mit dem alten Rittgarten, er mußte ihr vom Krieg erzählen, wie weit man ſich herangetrauen könne ohne Gefahr, ob die Franzoſen auch auf Frauenzimmer ſchöſſen? Nie war ſonſt ihren Gedanken etwas entfernter geweſen. „Sie iſt noch gar nicht gereiſt, das Kind, einmal nur bis Potsdam, und nun muß ihre erſte Reiſe gleich in den Krieg ſein! — Wer hätte das nur als möglich gedacht; es wird doch Alles anders, als es ſonſt war.“
„Alles — Alles!“ ſagte der alte Major, den Kopf ſchüttelnd, die Pfeife mußte ihm heut nicht ſchmecken.
„'S iſt Fügung des Himmels; das muß uns wohl tröſten, ſagte die Geheime Kriegsräthin, aber — aber —“
„Der Himmel fügt es, daß Alles aus dem Ge¬ füge geht, und es wird noch mehr losgehen. Er weiß, warum. Es muß wohl nicht recht zuſammengefügt geweſen ſein.“
Eine Converſation kam nicht auf. Wer zu ſprechen anfing, brach plötzlich ab, im Gefühl, daß es Wich¬ tigeres zu ſprechen gab, und die Zeit war koſtbar. Und dann hatte Jeder mit dem Andern etwas Beſon¬ deres zu ſprechen. Wenn er fortgegangen, fiel ihm ein, daß er das vergeſſen, was ihm beſonders auf dem Herzen lag. Welch ein Strom mütterlicher Er¬
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gemacht, was ſie ſei. Rührung war weder ſonſt noch
jetzt das Departement des Geheimen Kriegsrathes.
Die Geheimräthin brachte ſelten das Tuch von den
Augen. Sie unterhielt ſich mit dem alten Rittgarten,
er mußte ihr vom Krieg erzählen, wie weit man ſich
herangetrauen könne ohne Gefahr, ob die Franzoſen
auch auf Frauenzimmer ſchöſſen? Nie war ſonſt ihren
Gedanken etwas entfernter geweſen. „Sie iſt noch
gar nicht gereiſt, das Kind, einmal nur bis Potsdam,
und nun muß ihre erſte Reiſe gleich in den Krieg
ſein! — Wer hätte das nur als möglich gedacht;
es wird doch Alles anders, als es ſonſt war.“
„Alles — Alles!“ ſagte der alte Major, den
Kopf ſchüttelnd, die Pfeife mußte ihm heut nicht
ſchmecken.
„'S iſt Fügung des Himmels; das muß uns wohl
tröſten, ſagte die Geheime Kriegsräthin, aber —
aber —“
„Der Himmel fügt es, daß Alles aus dem Ge¬
füge geht, und es wird noch mehr losgehen. Er weiß,
warum. Es muß wohl nicht recht zuſammengefügt
geweſen ſein.“
Eine Converſation kam nicht auf. Wer zu ſprechen
anfing, brach plötzlich ab, im Gefühl, daß es Wich¬
tigeres zu ſprechen gab, und die Zeit war koſtbar.
Und dann hatte Jeder mit dem Andern etwas Beſon¬
deres zu ſprechen. Wenn er fortgegangen, fiel ihm
ein, daß er das vergeſſen, was ihm beſonders auf
dem Herzen lag. Welch ein Strom mütterlicher Er¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/268>, abgerufen am 24.11.2024.
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