voraus gewußt, was Ihnen bevorstand? Die gütige Vorsehung verhüllte es mit einem Schleier. So hat der Vater im Himmel es wohl auch mit mir gefügt. Hätte ich das, was ich jetzt erlebe, noch vor zwei Jahren ahnen können, und wer sagt, was mir noch bevorsteht! Da tänzeln wir im Flügelkleide der Lust und sehen überall Sonnenschein und Wiesengrün um uns, während die Herbststürme schon heranziehen. Aber es ist in seinem unerforschlichen Rathschluß, daß wir nichts davon ahnen, um gesund zu sein und stark, wenn sie hereinbrechen."
Adelheid versuchte von einer bessern nächsten Zu¬ kunft zu sprechen. Der Ton ihrer Stimme verrieth, daß sie nicht daran glaubte.
"Nein, liebes Kind, ich täusche mich nicht mehr; es ist vieles in diesen Tagen vor meinen Augen ge¬ rissen. Es ist nicht mehr, wie es war. Wohin ist unser Ansehen, wohin die Kriegszucht, wenn so kleine Derangements schon solche Unordnung bringen! Die Officiere mußten ein Auge zudrücken. Wenn das die preußische Armee betrifft! Wie hat man uns belogen! Ich hörte Stimmen aus dem Volke --"
"Wir sind hier nicht in Preußen."
"Auch in unserm Heere selbst. Ich hatte nicht geglaubt, daß unsre Officiere so gehaßt sind! Dieser Widerwille gegen die Junkerherrschaft! Und sah ich's nicht mit eignen Augen! Die Brutalität gegen die armen Menschen, und diese alten Generale, denen drei Mann helfen mußten, um auf's Pferd zu steigen.
voraus gewußt, was Ihnen bevorſtand? Die gütige Vorſehung verhüllte es mit einem Schleier. So hat der Vater im Himmel es wohl auch mit mir gefügt. Hätte ich das, was ich jetzt erlebe, noch vor zwei Jahren ahnen können, und wer ſagt, was mir noch bevorſteht! Da tänzeln wir im Flügelkleide der Luſt und ſehen überall Sonnenſchein und Wieſengrün um uns, während die Herbſtſtürme ſchon heranziehen. Aber es iſt in ſeinem unerforſchlichen Rathſchluß, daß wir nichts davon ahnen, um geſund zu ſein und ſtark, wenn ſie hereinbrechen.“
Adelheid verſuchte von einer beſſern nächſten Zu¬ kunft zu ſprechen. Der Ton ihrer Stimme verrieth, daß ſie nicht daran glaubte.
„Nein, liebes Kind, ich täuſche mich nicht mehr; es iſt vieles in dieſen Tagen vor meinen Augen ge¬ riſſen. Es iſt nicht mehr, wie es war. Wohin iſt unſer Anſehen, wohin die Kriegszucht, wenn ſo kleine Derangements ſchon ſolche Unordnung bringen! Die Officiere mußten ein Auge zudrücken. Wenn das die preußiſche Armee betrifft! Wie hat man uns belogen! Ich hörte Stimmen aus dem Volke —“
„Wir ſind hier nicht in Preußen.“
„Auch in unſerm Heere ſelbſt. Ich hatte nicht geglaubt, daß unſre Officiere ſo gehaßt ſind! Dieſer Widerwille gegen die Junkerherrſchaft! Und ſah ich's nicht mit eignen Augen! Die Brutalität gegen die armen Menſchen, und dieſe alten Generale, denen drei Mann helfen mußten, um auf's Pferd zu ſteigen.
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voraus gewußt, was Ihnen bevorſtand? Die gütige
Vorſehung verhüllte es mit einem Schleier. So hat
der Vater im Himmel es wohl auch mit mir gefügt.
Hätte ich das, was ich jetzt erlebe, noch vor zwei
Jahren ahnen können, und wer ſagt, was mir noch
bevorſteht! Da tänzeln wir im Flügelkleide der Luſt
und ſehen überall Sonnenſchein und Wieſengrün um
uns, während die Herbſtſtürme ſchon heranziehen.
Aber es iſt in ſeinem unerforſchlichen Rathſchluß, daß
wir nichts davon ahnen, um geſund zu ſein und
ſtark, wenn ſie hereinbrechen.“
Adelheid verſuchte von einer beſſern nächſten Zu¬
kunft zu ſprechen. Der Ton ihrer Stimme verrieth,
daß ſie nicht daran glaubte.
„Nein, liebes Kind, ich täuſche mich nicht mehr;
es iſt vieles in dieſen Tagen vor meinen Augen ge¬
riſſen. Es iſt nicht mehr, wie es war. Wohin iſt
unſer Anſehen, wohin die Kriegszucht, wenn ſo kleine
Derangements ſchon ſolche Unordnung bringen! Die
Officiere mußten ein Auge zudrücken. Wenn das
die preußiſche Armee betrifft! Wie hat man uns
belogen! Ich hörte Stimmen aus dem Volke —“
„Wir ſind hier nicht in Preußen.“
„Auch in unſerm Heere ſelbſt. Ich hatte nicht
geglaubt, daß unſre Officiere ſo gehaßt ſind! Dieſer
Widerwille gegen die Junkerherrſchaft! Und ſah ich's
nicht mit eignen Augen! Die Brutalität gegen die
armen Menſchen, und dieſe alten Generale, denen
drei Mann helfen mußten, um auf's Pferd zu ſteigen.
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/309>, abgerufen am 22.11.2024.
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