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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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dem Fenster mit den Stallmeistern und den beglei¬
tenden Officieren sprach. "Die Gefahr ist vorüber!"
sagte sie, den Kopf zurückziehend. "Er stirbt!" rief
Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, sich auf¬
zurichten. Dann ward sie still und blickte ruhig vor
sich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, sie zu
beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Gesicht
erblickt haben.

Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wa¬
gen schien sich nicht fortzubewegen: alles Peitschen
und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren.
Endlich stürzten sie; es war aber am Eingang in's
Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preu¬
ßischen Avantgarde war das Dorf schon besetzt. Rü¬
chel hatte einen Adjutanten der Königin nachgesandt,
dessen Meldung mit der des Reiters übereinstimmte, sie
müsse in Eil nach Weimar zurück, von dort seien
Relais und Escorte nach Sondershausen und dem
Harze für sie bereit. Aber noch fehlten die Pferde,
auch am Wagen war etwas zu bessern.

Die Königin ging in's Dorf zurück. Sie sprach
lebhaft mit den Officieren. Sie schien in raschen,
scharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Ge¬
sicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein.
Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; sie
stand, ohne zu wissen wie und warum, auf dem
Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in
die Kirche; eine einfache gothische Landkirche von
Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten

dem Fenſter mit den Stallmeiſtern und den beglei¬
tenden Officieren ſprach. „Die Gefahr iſt vorüber!“
ſagte ſie, den Kopf zurückziehend. „Er ſtirbt!“ rief
Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, ſich auf¬
zurichten. Dann ward ſie ſtill und blickte ruhig vor
ſich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, ſie zu
beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Geſicht
erblickt haben.

Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wa¬
gen ſchien ſich nicht fortzubewegen: alles Peitſchen
und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren.
Endlich ſtürzten ſie; es war aber am Eingang in's
Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preu¬
ßiſchen Avantgarde war das Dorf ſchon beſetzt. Rü¬
chel hatte einen Adjutanten der Königin nachgeſandt,
deſſen Meldung mit der des Reiters übereinſtimmte, ſie
müſſe in Eil nach Weimar zurück, von dort ſeien
Relais und Escorte nach Sondershauſen und dem
Harze für ſie bereit. Aber noch fehlten die Pferde,
auch am Wagen war etwas zu beſſern.

Die Königin ging in's Dorf zurück. Sie ſprach
lebhaft mit den Officieren. Sie ſchien in raſchen,
ſcharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Ge¬
ſicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein.
Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; ſie
ſtand, ohne zu wiſſen wie und warum, auf dem
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[306/0316] dem Fenſter mit den Stallmeiſtern und den beglei¬ tenden Officieren ſprach. „Die Gefahr iſt vorüber!“ ſagte ſie, den Kopf zurückziehend. „Er ſtirbt!“ rief Adelheid mit einer ohnmächtigen Bewegung, ſich auf¬ zurichten. Dann ward ſie ſtill und blickte ruhig vor ſich hin. Wer Zeit und Sinn dafür gehabt, ſie zu beobachten, würde jetzt ein Lächeln auf ihrem Geſicht erblickt haben. Wer hatte Sinn dafür, wer Zeit! Der Wa¬ gen ſchien ſich nicht fortzubewegen: alles Peitſchen und Fluchen war vergebens bei den müden Thieren. Endlich ſtürzten ſie; es war aber am Eingang in's Dorf. Gefahr war nicht mehr, denn von der preu¬ ßiſchen Avantgarde war das Dorf ſchon beſetzt. Rü¬ chel hatte einen Adjutanten der Königin nachgeſandt, deſſen Meldung mit der des Reiters übereinſtimmte, ſie müſſe in Eil nach Weimar zurück, von dort ſeien Relais und Escorte nach Sondershauſen und dem Harze für ſie bereit. Aber noch fehlten die Pferde, auch am Wagen war etwas zu beſſern. Die Königin ging in's Dorf zurück. Sie ſprach lebhaft mit den Officieren. Sie ſchien in raſchen, ſcharfen Fragen den Sinn jeder Falte auf ihrem Ge¬ ſicht entdecken zu wollen. Adelheid wankte allein. Er kam noch nicht. Sie wagte nicht zu fragen; ſie ſtand, ohne zu wiſſen wie und warum, auf dem Kirchhof. Ein angelehntes Hinterpförtchen führte in die Kirche; eine einfache gothiſche Landkirche von Steinquadern, mit einer Balkendecke. Und doch hatten

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/316>, abgerufen am 21.11.2024.