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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Staub hat an diesen Papieren gezehrt! -- Uebrigens
-- sagte er mit wehmüthigem Lächeln -- muß man
die Gefälligkeit der französischen Behörden bewun¬
dern. Daß wir in einem Kampf auf Leben und Tod
sind, in einem Kriege, der sie verpflichtet, Tausende
und aber Tausende der Unsern umzubringen, hindert
sie nicht, uns in unserm köstlichen Rechte beizustehen,
damit wir ja nicht fehl gehen, ein uns verfallenes
Justizopfer, und wäre es auch aus ihren Reihen,
zum Tode zu fangen! Welche Zuvorkommenheit!
Es war Laforest's letzter Akt hier unserm Kanzler die
Akten aus Paris zu communiciren. Eine schöne Sache
um das Band der Civilisation: Die Revolutionen,
die große Verbrecher krönen, retten die kleinen nicht
vorm Galgen. Die ganze Welt wird für ihn zum
Netz und ein Verbrecher findet in keinem Staat und
keinem Volke mehr ein Asyl!"

Er war an's Fenster getreten. Es war noch
todtenstille, finstre Nacht, obgleich schon hie und da
in abgelegenen Gehöften die Hähne krähten. Die
Straßenlampen brannten düster, die Laternen wurden
vom Morgenwinde geschaukelt. Ob er horchte -- ?
Er hörte nicht mehr den Kanonendonner, aber der
Tritt jedes verspäteten oder verfrühten Fußgängers
schallte aus der Tiefe zu ihm herauf. Fuchsius wohnte
hoch; er konnte die Dächer der nächstgelegenen Straßen
mit niedrigen Häusern überschauen. Als er nach den
Sternen ausschaute, sah er einen fernen Lichtschein.
Es kam aus einem Hoffenster in einer jenseits ge¬

Staub hat an dieſen Papieren gezehrt! — Uebrigens
— ſagte er mit wehmüthigem Lächeln — muß man
die Gefälligkeit der franzöſiſchen Behörden bewun¬
dern. Daß wir in einem Kampf auf Leben und Tod
ſind, in einem Kriege, der ſie verpflichtet, Tauſende
und aber Tauſende der Unſern umzubringen, hindert
ſie nicht, uns in unſerm köſtlichen Rechte beizuſtehen,
damit wir ja nicht fehl gehen, ein uns verfallenes
Juſtizopfer, und wäre es auch aus ihren Reihen,
zum Tode zu fangen! Welche Zuvorkommenheit!
Es war Laforeſt's letzter Akt hier unſerm Kanzler die
Akten aus Paris zu communiciren. Eine ſchöne Sache
um das Band der Civiliſation: Die Revolutionen,
die große Verbrecher krönen, retten die kleinen nicht
vorm Galgen. Die ganze Welt wird für ihn zum
Netz und ein Verbrecher findet in keinem Staat und
keinem Volke mehr ein Aſyl!“

Er war an's Fenſter getreten. Es war noch
todtenſtille, finſtre Nacht, obgleich ſchon hie und da
in abgelegenen Gehöften die Hähne krähten. Die
Straßenlampen brannten düſter, die Laternen wurden
vom Morgenwinde geſchaukelt. Ob er horchte — ?
Er hörte nicht mehr den Kanonendonner, aber der
Tritt jedes verſpäteten oder verfrühten Fußgängers
ſchallte aus der Tiefe zu ihm herauf. Fuchſius wohnte
hoch; er konnte die Dächer der nächſtgelegenen Straßen
mit niedrigen Häuſern überſchauen. Als er nach den
Sternen ausſchaute, ſah er einen fernen Lichtſchein.
Es kam aus einem Hoffenſter in einer jenſeits ge¬

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[316/0326] Staub hat an dieſen Papieren gezehrt! — Uebrigens — ſagte er mit wehmüthigem Lächeln — muß man die Gefälligkeit der franzöſiſchen Behörden bewun¬ dern. Daß wir in einem Kampf auf Leben und Tod ſind, in einem Kriege, der ſie verpflichtet, Tauſende und aber Tauſende der Unſern umzubringen, hindert ſie nicht, uns in unſerm köſtlichen Rechte beizuſtehen, damit wir ja nicht fehl gehen, ein uns verfallenes Juſtizopfer, und wäre es auch aus ihren Reihen, zum Tode zu fangen! Welche Zuvorkommenheit! Es war Laforeſt's letzter Akt hier unſerm Kanzler die Akten aus Paris zu communiciren. Eine ſchöne Sache um das Band der Civiliſation: Die Revolutionen, die große Verbrecher krönen, retten die kleinen nicht vorm Galgen. Die ganze Welt wird für ihn zum Netz und ein Verbrecher findet in keinem Staat und keinem Volke mehr ein Aſyl!“ Er war an's Fenſter getreten. Es war noch todtenſtille, finſtre Nacht, obgleich ſchon hie und da in abgelegenen Gehöften die Hähne krähten. Die Straßenlampen brannten düſter, die Laternen wurden vom Morgenwinde geſchaukelt. Ob er horchte — ? Er hörte nicht mehr den Kanonendonner, aber der Tritt jedes verſpäteten oder verfrühten Fußgängers ſchallte aus der Tiefe zu ihm herauf. Fuchſius wohnte hoch; er konnte die Dächer der nächſtgelegenen Straßen mit niedrigen Häuſern überſchauen. Als er nach den Sternen ausſchaute, ſah er einen fernen Lichtſchein. Es kam aus einem Hoffenſter in einer jenſeits ge¬

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/326>, abgerufen am 21.11.2024.