Ja, Theuerster, der Sprung aus der Politik in die Criminalistik ist für mich zur Rettung geworden aus einer Welt der Verwesung, über der der gleißende Schein immer mehr reißt, in eine Naturwelt, wo es noch chaotisch daliegt, unschön, meinethalben ekelhaft, aber es ist die grelle Naturwahrheit, die der Mensch bessern, veredeln sollte, gewiß, es war seine Aufgabe, aber er hat sie verpfuscht. Jetzt begreife ich die Völ¬ kerwanderung. Die Barbaren, welche die römische Culturwelt mit ihren Keulen niederschlugen, waren nicht etwa rohe Engel aus dem Paradiese, auch unter ihnen grassirten Laster, Blutsünde und Gräuel aller Art, aber sie waren der frische Abdruck des giganti¬ schen Menschengeschlechts."
"Den finden Sie doch nicht unter Ihren Ver¬ brechern in den Voigteien? Ich konnte sie immer nur als den Abdruck unsrer Sittenverderbniß betrachten."
"Nun, so studire ich in ihnen das Schattenspiel unser selbst."
"Aber wo unter hundert Fällen neun und neun¬ zig nur die Verwechselung des Mein und Dein zum Gegenstand haben."
Fuchsius sah ihn lächelnd an: "Ist das nicht die große Frage, die Alles regiert! Nur daß die Groben für Andre, die Feinen für sich einen Mantel darüber hängen. Von meinen Verbrechern wollen die Wenigsten sich selbst täuschen, es ist daher viel leichter, die Bemäntelung abzureißen und der Sache auf den Grund zu kommen. Uebrigens versichere ich
Ja, Theuerſter, der Sprung aus der Politik in die Criminaliſtik iſt für mich zur Rettung geworden aus einer Welt der Verweſung, über der der gleißende Schein immer mehr reißt, in eine Naturwelt, wo es noch chaotiſch daliegt, unſchön, meinethalben ekelhaft, aber es iſt die grelle Naturwahrheit, die der Menſch beſſern, veredeln ſollte, gewiß, es war ſeine Aufgabe, aber er hat ſie verpfuſcht. Jetzt begreife ich die Völ¬ kerwanderung. Die Barbaren, welche die römiſche Culturwelt mit ihren Keulen niederſchlugen, waren nicht etwa rohe Engel aus dem Paradieſe, auch unter ihnen graſſirten Laſter, Blutſünde und Gräuel aller Art, aber ſie waren der friſche Abdruck des giganti¬ ſchen Menſchengeſchlechts.“
„Den finden Sie doch nicht unter Ihren Ver¬ brechern in den Voigteien? Ich konnte ſie immer nur als den Abdruck unſrer Sittenverderbniß betrachten.“
„Nun, ſo ſtudire ich in ihnen das Schattenſpiel unſer ſelbſt.“
„Aber wo unter hundert Fällen neun und neun¬ zig nur die Verwechſelung des Mein und Dein zum Gegenſtand haben.“
Fuchſius ſah ihn lächelnd an: „Iſt das nicht die große Frage, die Alles regiert! Nur daß die Groben für Andre, die Feinen für ſich einen Mantel darüber hängen. Von meinen Verbrechern wollen die Wenigſten ſich ſelbſt täuſchen, es iſt daher viel leichter, die Bemäntelung abzureißen und der Sache auf den Grund zu kommen. Uebrigens verſichere ich
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Ja, Theuerſter, der Sprung aus der Politik in die
Criminaliſtik iſt für mich zur Rettung geworden aus
einer Welt der Verweſung, über der der gleißende
Schein immer mehr reißt, in eine Naturwelt, wo es
noch chaotiſch daliegt, unſchön, meinethalben ekelhaft,
aber es iſt die grelle Naturwahrheit, die der Menſch
beſſern, veredeln ſollte, gewiß, es war ſeine Aufgabe,
aber er hat ſie verpfuſcht. Jetzt begreife ich die Völ¬
kerwanderung. Die Barbaren, welche die römiſche
Culturwelt mit ihren Keulen niederſchlugen, waren
nicht etwa rohe Engel aus dem Paradieſe, auch unter
ihnen graſſirten Laſter, Blutſünde und Gräuel aller
Art, aber ſie waren der friſche Abdruck des giganti¬
ſchen Menſchengeſchlechts.“
„Den finden Sie doch nicht unter Ihren Ver¬
brechern in den Voigteien? Ich konnte ſie immer nur
als den Abdruck unſrer Sittenverderbniß betrachten.“
„Nun, ſo ſtudire ich in ihnen das Schattenſpiel
unſer ſelbſt.“
„Aber wo unter hundert Fällen neun und neun¬
zig nur die Verwechſelung des Mein und Dein zum
Gegenſtand haben.“
Fuchſius ſah ihn lächelnd an: „Iſt das nicht
die große Frage, die Alles regiert! Nur daß die
Groben für Andre, die Feinen für ſich einen Mantel
darüber hängen. Von meinen Verbrechern wollen
die Wenigſten ſich ſelbſt täuſchen, es iſt daher viel
leichter, die Bemäntelung abzureißen und der Sache
auf den Grund zu kommen. Uebrigens verſichere ich
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/33>, abgerufen am 21.11.2024.
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