eröffneter Briefe hineinwerfen wollte. "Wozu sich mit Erinnerungen beschweren! Nur nichts hinter uns."
Die Briefe fielen zerstreut auf die Tischplatte. Sie ließ Alles geschehen in sprachloser Erstarrung. Da nahm er einen: "Ah, Dohlenecks Hand! Selig sind die Todten, aber sie haben nichts zu schwatzen."
Ehe sie es hindern konnte, hatte er den Brief in kleine Stücke zerrissen. Aber sie hatte den Blick gesehen, der auf das Papier schoß, die Freude, die aus seinen Augen blitzte -- es war eine ganz eigen¬ thümliche Freude -- das Weiße des Auges verzog sich, er kniff die Unterlippe mit den Zähnen ein. Da blitzte etwas auf in ihr; es war, als ob ein Vorhang riß. Einige Schritte zurückfahrend, maß sie ihn vom Kopf bis Fuß. Es war ein fürchterliches Licht, das in ihr aufschoß. Ihr Gesicht röthete sich, ein Strahl von einer Freude schoß darüber, während sie un¬ willkürlich die weißen Zähne zeigte, und die Finger der schönen Hände sich krümmten.
"Warum vernichten Sie gerade den Brief?"
"Weil -- weil ich im Interesse dieses heiligen Todten seiner Wittwe Erinnerungen sparen will, die den Seelenfrieden einer treuen Gattin trüben könnten."
Der imponirende Ton verfehlte seine Wirkung. Ein krampfhaftes Lachen erleichterte ihre Brust: "Falsch! es ist Alles falsch an Ihnen -- jetzt -- ich ahne -- Sie sind ein Mensch, dem Niemand trauen durfte -- o mein Gott! -- und da der todte Mann -- Wer schützt mich!"
eröffneter Briefe hineinwerfen wollte. „Wozu ſich mit Erinnerungen beſchweren! Nur nichts hinter uns.“
Die Briefe fielen zerſtreut auf die Tiſchplatte. Sie ließ Alles geſchehen in ſprachloſer Erſtarrung. Da nahm er einen: „Ah, Dohlenecks Hand! Selig ſind die Todten, aber ſie haben nichts zu ſchwatzen.“
Ehe ſie es hindern konnte, hatte er den Brief in kleine Stücke zerriſſen. Aber ſie hatte den Blick geſehen, der auf das Papier ſchoß, die Freude, die aus ſeinen Augen blitzte — es war eine ganz eigen¬ thümliche Freude — das Weiße des Auges verzog ſich, er kniff die Unterlippe mit den Zähnen ein. Da blitzte etwas auf in ihr; es war, als ob ein Vorhang riß. Einige Schritte zurückfahrend, maß ſie ihn vom Kopf bis Fuß. Es war ein fürchterliches Licht, das in ihr aufſchoß. Ihr Geſicht röthete ſich, ein Strahl von einer Freude ſchoß darüber, während ſie un¬ willkürlich die weißen Zähne zeigte, und die Finger der ſchönen Hände ſich krümmten.
„Warum vernichten Sie gerade den Brief?“
„Weil — weil ich im Intereſſe dieſes heiligen Todten ſeiner Wittwe Erinnerungen ſparen will, die den Seelenfrieden einer treuen Gattin trüben könnten.“
Der imponirende Ton verfehlte ſeine Wirkung. Ein krampfhaftes Lachen erleichterte ihre Bruſt: „Falſch! es iſt Alles falſch an Ihnen — jetzt — ich ahne — Sie ſind ein Menſch, dem Niemand trauen durfte — o mein Gott! — und da der todte Mann — Wer ſchützt mich!“
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eröffneter Briefe hineinwerfen wollte. „Wozu ſich
mit Erinnerungen beſchweren! Nur nichts hinter uns.“
Die Briefe fielen zerſtreut auf die Tiſchplatte.
Sie ließ Alles geſchehen in ſprachloſer Erſtarrung.
Da nahm er einen: „Ah, Dohlenecks Hand! Selig
ſind die Todten, aber ſie haben nichts zu ſchwatzen.“
Ehe ſie es hindern konnte, hatte er den Brief
in kleine Stücke zerriſſen. Aber ſie hatte den Blick
geſehen, der auf das Papier ſchoß, die Freude, die
aus ſeinen Augen blitzte — es war eine ganz eigen¬
thümliche Freude — das Weiße des Auges verzog
ſich, er kniff die Unterlippe mit den Zähnen ein. Da
blitzte etwas auf in ihr; es war, als ob ein Vorhang
riß. Einige Schritte zurückfahrend, maß ſie ihn vom
Kopf bis Fuß. Es war ein fürchterliches Licht, das
in ihr aufſchoß. Ihr Geſicht röthete ſich, ein Strahl
von einer Freude ſchoß darüber, während ſie un¬
willkürlich die weißen Zähne zeigte, und die Finger
der ſchönen Hände ſich krümmten.
„Warum vernichten Sie gerade den Brief?“
„Weil — weil ich im Intereſſe dieſes heiligen
Todten ſeiner Wittwe Erinnerungen ſparen will, die
den Seelenfrieden einer treuen Gattin trüben könnten.“
Der imponirende Ton verfehlte ſeine Wirkung.
Ein krampfhaftes Lachen erleichterte ihre Bruſt:
„Falſch! es iſt Alles falſch an Ihnen — jetzt — ich
ahne — Sie ſind ein Menſch, dem Niemand trauen
durfte — o mein Gott! — und da der todte Mann
— Wer ſchützt mich!“
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/371>, abgerufen am 24.11.2024.
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