Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch jetzt noch Mittel gefunden -- wenigstens würde er danach gesucht haben, das Mißtrauen der Wittwe zu beschwichtigen, wenn sein Blick nicht plötzlich durch einen Gegenstand an der Thür absorbirt worden wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nach¬ dem durch die Diener die Nachricht vom Tode des Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde, Angehöriger und Theilnehmender sich in das Haus drängte. Eben so natürlich war es, wenn bei der obwaltenden Krisis einige unangemeldet in das Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauer¬ besuches war nicht mehr Zeit. Alle trauerten, und alle Trauer mischt sich. Die Baronin ward em¬ brassirt, Dienstleute aus dem Hause drängten herein und schrieen beim Anblick der Leiche auf. Das: "Wissen Sie schon?" -- "O der ist glücklich, der nichts davon hört!" "Ach wer weiß, was uns Allen bevorsteht!" -- "Und so jung noch!" -- Das Schluchzen, das stille Weinen, das Händeringen, es war Alles zusammen wohl geeignet, die peinliche Lage der Baronin zu vermehren und ihre Aufmerksamkeit abzuziehen, aber die Wandels war auf einen andern Gegenstand gerichtet gewesen. Er glaubte, als die Thür aufgerissen ward, den rothen Kragen eines obern Polizeibeamten entdeckt zu haben.
Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie aus einer geöffneten Schleuse ergossen sich Nachrichten, die ihm nicht alle angenehm waren. Dem "Wissen
Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch jetzt noch Mittel gefunden — wenigſtens würde er danach geſucht haben, das Mißtrauen der Wittwe zu beſchwichtigen, wenn ſein Blick nicht plötzlich durch einen Gegenſtand an der Thür abſorbirt worden wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nach¬ dem durch die Diener die Nachricht vom Tode des Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde, Angehöriger und Theilnehmender ſich in das Haus drängte. Eben ſo natürlich war es, wenn bei der obwaltenden Kriſis einige unangemeldet in das Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauer¬ beſuches war nicht mehr Zeit. Alle trauerten, und alle Trauer miſcht ſich. Die Baronin ward em¬ braſſirt, Dienſtleute aus dem Hauſe drängten herein und ſchrieen beim Anblick der Leiche auf. Das: „Wiſſen Sie ſchon?“ — „O der iſt glücklich, der nichts davon hört!“ „Ach wer weiß, was uns Allen bevorſteht!“ — „Und ſo jung noch!“ — Das Schluchzen, das ſtille Weinen, das Händeringen, es war Alles zuſammen wohl geeignet, die peinliche Lage der Baronin zu vermehren und ihre Aufmerkſamkeit abzuziehen, aber die Wandels war auf einen andern Gegenſtand gerichtet geweſen. Er glaubte, als die Thür aufgeriſſen ward, den rothen Kragen eines obern Polizeibeamten entdeckt zu haben.
Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie aus einer geöffneten Schleuſe ergoſſen ſich Nachrichten, die ihm nicht alle angenehm waren. Dem „Wiſſen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0372"n="362"/><p>Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch<lb/>
jetzt noch Mittel gefunden — wenigſtens würde er<lb/>
danach geſucht haben, das Mißtrauen der Wittwe<lb/>
zu beſchwichtigen, wenn ſein Blick nicht plötzlich durch<lb/>
einen Gegenſtand an der Thür abſorbirt worden<lb/>
wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nach¬<lb/>
dem durch die Diener die Nachricht vom Tode des<lb/>
Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde,<lb/>
Angehöriger und Theilnehmender ſich in das Haus<lb/>
drängte. Eben ſo natürlich war es, wenn bei der<lb/>
obwaltenden Kriſis einige unangemeldet in das<lb/>
Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauer¬<lb/>
beſuches war nicht mehr Zeit. Alle trauerten, und<lb/>
alle Trauer miſcht ſich. Die Baronin ward em¬<lb/>
braſſirt, Dienſtleute aus dem Hauſe drängten herein<lb/>
und ſchrieen beim Anblick der Leiche auf. Das:<lb/>„Wiſſen Sie ſchon?“—„O der iſt glücklich, der<lb/>
nichts davon hört!“„Ach wer weiß, was uns<lb/>
Allen bevorſteht!“—„Und ſo jung noch!“— Das<lb/>
Schluchzen, das ſtille Weinen, das Händeringen, es<lb/>
war Alles zuſammen wohl geeignet, die peinliche Lage<lb/>
der Baronin zu vermehren und ihre Aufmerkſamkeit<lb/>
abzuziehen, aber die Wandels war auf einen andern<lb/>
Gegenſtand gerichtet geweſen. Er glaubte, als die<lb/>
Thür aufgeriſſen ward, den rothen Kragen eines<lb/>
obern Polizeibeamten entdeckt zu haben.</p><lb/><p>Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie<lb/>
aus einer geöffneten Schleuſe ergoſſen ſich Nachrichten,<lb/>
die ihm nicht alle angenehm waren. Dem „Wiſſen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[362/0372]
Wir zweifeln nicht, daß der Legationsrath auch
jetzt noch Mittel gefunden — wenigſtens würde er
danach geſucht haben, das Mißtrauen der Wittwe
zu beſchwichtigen, wenn ſein Blick nicht plötzlich durch
einen Gegenſtand an der Thür abſorbirt worden
wäre. Es lag in der Natur der Dinge, daß, nach¬
dem durch die Diener die Nachricht vom Tode des
Barons bekannt geworden, eine Anzahl Freunde,
Angehöriger und Theilnehmender ſich in das Haus
drängte. Eben ſo natürlich war es, wenn bei der
obwaltenden Kriſis einige unangemeldet in das
Zimmer drangen, zur Förmlichkeit eines Trauer¬
beſuches war nicht mehr Zeit. Alle trauerten, und
alle Trauer miſcht ſich. Die Baronin ward em¬
braſſirt, Dienſtleute aus dem Hauſe drängten herein
und ſchrieen beim Anblick der Leiche auf. Das:
„Wiſſen Sie ſchon?“ — „O der iſt glücklich, der
nichts davon hört!“ „Ach wer weiß, was uns
Allen bevorſteht!“ — „Und ſo jung noch!“ — Das
Schluchzen, das ſtille Weinen, das Händeringen, es
war Alles zuſammen wohl geeignet, die peinliche Lage
der Baronin zu vermehren und ihre Aufmerkſamkeit
abzuziehen, aber die Wandels war auf einen andern
Gegenſtand gerichtet geweſen. Er glaubte, als die
Thür aufgeriſſen ward, den rothen Kragen eines
obern Polizeibeamten entdeckt zu haben.
Der war zwar noch nicht eingetreten, aber wie
aus einer geöffneten Schleuſe ergoſſen ſich Nachrichten,
die ihm nicht alle angenehm waren. Dem „Wiſſen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/372>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.