gnügens wegen, was es sei. Nun blicken Sie um sich, links und rechts, in West und Ost, in Nord und Süd, auf die großen Spieler. Die haben gespielt und spielen fort, mit tausenden, mit hunderttausen¬ den von Menschenleben, und ich kleiner, bescheidener Bankhalter! -- Ja, die haben Motive, antworten Sie, Menschenliebe, Allgemeinwohl, Religion, Frei¬ heit und Gleichheit, Thron und Altar, Sitte und Nationalität -- Herr, wer sagt Ihnen, daß ich nicht auch Motive habe, Ideen, vor denen alle Rücksichten schwinden müssen? Kann ich sie nicht auch über¬ kleistern mit Goldschaum und Tugendfloskeln? Das wahre Motiv, Herr, das ist überall dasselbe: der Größere frißt den kleineren, wenn er Appetit hat und sein Magen es verträgt, und der Unterschied ist nur der: die großen Verbrecher kommen in die Ge¬ schichtsbücher und wir kleinen irgendwo in ein Cri¬ minalregister. Wenn der Wurm auf uns Mahlzeit hält, ist's uns Beiden gleichgültig. -- Aber ich, nein, mir ist's nicht gleichgültig, ein Stein ist mir vom Herzen gewälzt, ein Quell sprudelte in der Wüste -- ich habe nichts mehr mit der verfluchten Politik zu thun. Verstellung, Heuchelei, für Andre denken, fühlen zu sollen, bin ich quitt. Mögen sie sich todtschlagen, betrügen, verre¬ den, glorificiren, wie sie Lust haben, mich kümmert's nicht mehr. Von nun an bin ich wahr, ja, mein Herr, ich fühle die ganze Seligkeit der Wahrheit, ich athme, kämpfe, lebe nur für mich."
gnügens wegen, was es ſei. Nun blicken Sie um ſich, links und rechts, in Weſt und Oſt, in Nord und Süd, auf die großen Spieler. Die haben geſpielt und ſpielen fort, mit tauſenden, mit hunderttauſen¬ den von Menſchenleben, und ich kleiner, beſcheidener Bankhalter! — Ja, die haben Motive, antworten Sie, Menſchenliebe, Allgemeinwohl, Religion, Frei¬ heit und Gleichheit, Thron und Altar, Sitte und Nationalität — Herr, wer ſagt Ihnen, daß ich nicht auch Motive habe, Ideen, vor denen alle Rückſichten ſchwinden müſſen? Kann ich ſie nicht auch über¬ kleiſtern mit Goldſchaum und Tugendfloskeln? Das wahre Motiv, Herr, das iſt überall daſſelbe: der Größere frißt den kleineren, wenn er Appetit hat und ſein Magen es verträgt, und der Unterſchied iſt nur der: die großen Verbrecher kommen in die Ge¬ ſchichtsbücher und wir kleinen irgendwo in ein Cri¬ minalregiſter. Wenn der Wurm auf uns Mahlzeit hält, iſt's uns Beiden gleichgültig. — Aber ich, nein, mir iſt's nicht gleichgültig, ein Stein iſt mir vom Herzen gewälzt, ein Quell ſprudelte in der Wüſte — ich habe nichts mehr mit der verfluchten Politik zu thun. Verſtellung, Heuchelei, für Andre denken, fühlen zu ſollen, bin ich quitt. Mögen ſie ſich todtſchlagen, betrügen, verre¬ den, glorificiren, wie ſie Luſt haben, mich kümmert's nicht mehr. Von nun an bin ich wahr, ja, mein Herr, ich fühle die ganze Seligkeit der Wahrheit, ich athme, kämpfe, lebe nur für mich.“
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Bankhalter! — Ja, die haben Motive, antworten
Sie, Menſchenliebe, Allgemeinwohl, Religion, Frei¬
heit und Gleichheit, Thron und Altar, Sitte und
Nationalität — Herr, wer ſagt Ihnen, daß ich nicht
auch Motive habe, Ideen, vor denen alle Rückſichten
ſchwinden müſſen? Kann ich ſie nicht auch über¬
kleiſtern mit Goldſchaum und Tugendfloskeln? Das
wahre Motiv, Herr, das iſt überall daſſelbe: der
Größere frißt den kleineren, wenn er Appetit hat
und ſein Magen es verträgt, und der Unterſchied iſt
nur der: die großen Verbrecher kommen in die Ge¬
ſchichtsbücher und wir kleinen irgendwo in ein Cri¬
minalregiſter. Wenn der Wurm auf uns Mahlzeit
hält, iſt's uns Beiden gleichgültig. — Aber ich, nein,
mir iſt's nicht gleichgültig, ein Stein iſt mir vom
Herzen gewälzt, ein Quell ſprudelte in der Wüſte — ich
habe nichts mehr mit der verfluchten Politik
zu thun. Verſtellung, Heuchelei,
für Andre denken, fühlen zu ſollen, bin ich
quitt. Mögen ſie ſich todtſchlagen, betrügen, verre¬
den, glorificiren, wie ſie Luſt haben, mich kümmert's
nicht mehr. Von nun an bin ich wahr, ja, mein
Herr, ich fühle die ganze Seligkeit der Wahrheit, ich
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/382>, abgerufen am 24.11.2024.
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