Wagen gesprungen, nicht aus Theilnahme für die Hochzeitleute, sondern weil jeder den Augenblick nutzen wollte, um Abschied von einem Angehörigen zu nehmen.
Walter preßte seinen Vater an die Brust: "Ich suchte Sie vergebens in -- Ihrem Hause. Aber was bedeutet das, die Siegel waren abgenommen?"
"Freude, mein Sohn, es können ja nicht Alle trauern. Die Welt ist ein großes Kaufmannsspiel; wenn Viele verlieren, müssen doch Einige gewinnen, wo bliebe es sonst! Der Rothwein steigt, die Häfen werden gesperrt. Er ist schon gestiegen. Gestern bot man mir zehn Prozent über den Einkauf, heute zwanzig, wenn die Franzosen da sind, bieten sie fünfzig. Soll ich mich nicht freuen, daß die Franzosen da sind, oder soll ich weinen, daß unsre Junkerofficiere Schläge bekommen haben? Dein Vater ist ein reicher Mann, er hat Credit, Freunde überall, die ihm längst hätten helfen wollen, wenn sie nur gewußt, daß er in Noth war. Nicht wahr, die Menschen sind doch besser, als wir denken, wir merken's nur nicht! Lebewohl, mein Junge, behalt im Gedächtniß, daß der beste Rechner oft die größten Fehler macht. Wer weiß, wann der Bonaparte mal 'ne Null zu viel schreibt! Drum rechne nicht zu viel, schone Dein Leben, denn Du mußt rechnen, daß Du wieder eines reichen Mannes Sohn bist und sein Erbe; und Minchen Schlarbaum, vor der brauchst Du Dich nicht zu fürchten, wenn Du wiederkommst, sie wird wohl den Herrn von Fuch¬ sius heirathen. Drum bleibe meinethalben romantisch,
Wagen geſprungen, nicht aus Theilnahme für die Hochzeitleute, ſondern weil jeder den Augenblick nutzen wollte, um Abſchied von einem Angehörigen zu nehmen.
Walter preßte ſeinen Vater an die Bruſt: „Ich ſuchte Sie vergebens in — Ihrem Hauſe. Aber was bedeutet das, die Siegel waren abgenommen?“
„Freude, mein Sohn, es können ja nicht Alle trauern. Die Welt iſt ein großes Kaufmannsſpiel; wenn Viele verlieren, müſſen doch Einige gewinnen, wo bliebe es ſonſt! Der Rothwein ſteigt, die Häfen werden geſperrt. Er iſt ſchon geſtiegen. Geſtern bot man mir zehn Prozent über den Einkauf, heute zwanzig, wenn die Franzoſen da ſind, bieten ſie fünfzig. Soll ich mich nicht freuen, daß die Franzoſen da ſind, oder ſoll ich weinen, daß unſre Junkerofficiere Schläge bekommen haben? Dein Vater iſt ein reicher Mann, er hat Credit, Freunde überall, die ihm längſt hätten helfen wollen, wenn ſie nur gewußt, daß er in Noth war. Nicht wahr, die Menſchen ſind doch beſſer, als wir denken, wir merken's nur nicht! Lebewohl, mein Junge, behalt im Gedächtniß, daß der beſte Rechner oft die größten Fehler macht. Wer weiß, wann der Bonaparte mal 'ne Null zu viel ſchreibt! Drum rechne nicht zu viel, ſchone Dein Leben, denn Du mußt rechnen, daß Du wieder eines reichen Mannes Sohn biſt und ſein Erbe; und Minchen Schlarbaum, vor der brauchſt Du Dich nicht zu fürchten, wenn Du wiederkommſt, ſie wird wohl den Herrn von Fuch¬ ſius heirathen. Drum bleibe meinethalben romantiſch,
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Wagen geſprungen, nicht aus Theilnahme für die
Hochzeitleute, ſondern weil jeder den Augenblick nutzen
wollte, um Abſchied von einem Angehörigen zu nehmen.
Walter preßte ſeinen Vater an die Bruſt: „Ich
ſuchte Sie vergebens in — Ihrem Hauſe. Aber
was bedeutet das, die Siegel waren abgenommen?“
„Freude, mein Sohn, es können ja nicht Alle
trauern. Die Welt iſt ein großes Kaufmannsſpiel;
wenn Viele verlieren, müſſen doch Einige gewinnen,
wo bliebe es ſonſt! Der Rothwein ſteigt, die Häfen
werden geſperrt. Er iſt ſchon geſtiegen. Geſtern
bot man mir zehn Prozent über den Einkauf, heute
zwanzig, wenn die Franzoſen da ſind, bieten ſie fünfzig.
Soll ich mich nicht freuen, daß die Franzoſen da ſind,
oder ſoll ich weinen, daß unſre Junkerofficiere Schläge
bekommen haben? Dein Vater iſt ein reicher Mann,
er hat Credit, Freunde überall, die ihm längſt hätten
helfen wollen, wenn ſie nur gewußt, daß er in Noth
war. Nicht wahr, die Menſchen ſind doch beſſer, als
wir denken, wir merken's nur nicht! Lebewohl, mein
Junge, behalt im Gedächtniß, daß der beſte Rechner
oft die größten Fehler macht. Wer weiß, wann der
Bonaparte mal 'ne Null zu viel ſchreibt! Drum
rechne nicht zu viel, ſchone Dein Leben, denn Du
mußt rechnen, daß Du wieder eines reichen Mannes
Sohn biſt und ſein Erbe; und Minchen Schlarbaum,
vor der brauchſt Du Dich nicht zu fürchten, wenn Du
wiederkommſt, ſie wird wohl den Herrn von Fuch¬
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/391>, abgerufen am 24.11.2024.
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