Töne der Luftzug stärker herantrug. Es war immer der Dessauer Marsch.
"Der alte Dessauer sang ja auch, wohl die Kirchenlieder nach der Weise! -- Es ist Alles hier eine Weise. Das ist's, was den Muth dämpft."
Walter meinte, in Ansichten sei doch eine Muster¬ karte vorhanden.
"Nein, die Uniform ist in's Blut gedrungen. Das ist's! Das ist das Uebel. Ein König war ein¬ mal ein Wütherich der Sitte, da wurde das Volk puri¬ tanisch, ein anderer ein Freidenker, da wurden sie Freigeister. Dann Libertins, zur Abwechselung Träu¬ mer, magnetisch verzückt, Geisterseher. Aus Ueberdruß auch wieder tugendhaft, häuslich. Sie wären Ency¬ klopädisten, Freimaurer, bureaukratisch fischblütige Jacobiner geworden, wenn Menken länger gelebt, und Beyme nicht in die Stricke der andern gefallen wäre! -- Und was das Uebelste vom Uebel, sie hal¬ ten diese Virtuosität des Nachspringens noch für Bravour und Tugend."
"Und hat nicht diese Virtuosität oder Tugend unsern Staat zu dem gemacht, was er ist?"
"Respect vor dem Geschlecht, junger Freund! Die großen Männer waren es, die Riesengeister, von jenen Bergen stammend, auf denen auch der Hohen¬ staufen in die Wolken sah."
Auch die Stammburg des Ministers schaute von einem Berge in die Wolken. Der Minister mußte den lächelnden Zug um seine Augen ver¬
Töne der Luftzug ſtärker herantrug. Es war immer der Deſſauer Marſch.
„Der alte Deſſauer ſang ja auch, wohl die Kirchenlieder nach der Weiſe! — Es iſt Alles hier eine Weiſe. Das iſt's, was den Muth dämpft.“
Walter meinte, in Anſichten ſei doch eine Muſter¬ karte vorhanden.
„Nein, die Uniform iſt in's Blut gedrungen. Das iſt's! Das iſt das Uebel. Ein König war ein¬ mal ein Wütherich der Sitte, da wurde das Volk puri¬ taniſch, ein anderer ein Freidenker, da wurden ſie Freigeiſter. Dann Libertins, zur Abwechſelung Träu¬ mer, magnetiſch verzückt, Geiſterſeher. Aus Ueberdruß auch wieder tugendhaft, häuslich. Sie wären Ency¬ klopädiſten, Freimaurer, bureaukratiſch fiſchblütige Jacobiner geworden, wenn Menken länger gelebt, und Beyme nicht in die Stricke der andern gefallen wäre! — Und was das Uebelſte vom Uebel, ſie hal¬ ten dieſe Virtuoſität des Nachſpringens noch für Bravour und Tugend.“
„Und hat nicht dieſe Virtuoſität oder Tugend unſern Staat zu dem gemacht, was er iſt?“
„Reſpect vor dem Geſchlecht, junger Freund! Die großen Männer waren es, die Rieſengeiſter, von jenen Bergen ſtammend, auf denen auch der Hohen¬ ſtaufen in die Wolken ſah.“
Auch die Stammburg des Miniſters ſchaute von einem Berge in die Wolken. Der Miniſter mußte den lächelnden Zug um ſeine Augen ver¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0086"n="76"/>
Töne der Luftzug ſtärker herantrug. Es war immer<lb/>
der Deſſauer Marſch.</p><lb/><p>„Der alte Deſſauer ſang ja auch, wohl die<lb/>
Kirchenlieder nach der Weiſe! — Es iſt <hirendition="#g">Alles</hi> hier<lb/><hirendition="#g">eine</hi> Weiſe. Das iſt's, was den Muth dämpft.“</p><lb/><p>Walter meinte, in Anſichten ſei doch eine Muſter¬<lb/>
karte vorhanden.</p><lb/><p>„Nein, die Uniform iſt in's Blut gedrungen.<lb/>
Das iſt's! Das iſt das Uebel. <hirendition="#g">Ein</hi> König war ein¬<lb/>
mal ein Wütherich der Sitte, da wurde das Volk puri¬<lb/>
taniſch, ein anderer ein Freidenker, da wurden ſie<lb/>
Freigeiſter. Dann Libertins, zur Abwechſelung Träu¬<lb/>
mer, magnetiſch verzückt, Geiſterſeher. Aus Ueberdruß<lb/>
auch wieder tugendhaft, häuslich. Sie wären Ency¬<lb/>
klopädiſten, Freimaurer, bureaukratiſch fiſchblütige<lb/>
Jacobiner geworden, wenn Menken länger gelebt,<lb/>
und Beyme nicht in die Stricke der andern gefallen<lb/>
wäre! — Und was das Uebelſte vom Uebel, ſie hal¬<lb/>
ten dieſe Virtuoſität des Nachſpringens noch für<lb/>
Bravour und Tugend.“</p><lb/><p>„Und hat nicht dieſe Virtuoſität oder Tugend<lb/>
unſern Staat zu dem gemacht, was er iſt?“</p><lb/><p>„Reſpect vor dem Geſchlecht, junger Freund!<lb/>
Die großen Männer waren es, die Rieſengeiſter, von<lb/>
jenen Bergen ſtammend, auf denen auch der Hohen¬<lb/>ſtaufen in die Wolken ſah.“</p><lb/><p>Auch die Stammburg des Miniſters ſchaute<lb/>
von einem Berge in die Wolken. Der Miniſter<lb/>
mußte den lächelnden Zug um ſeine Augen ver¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[76/0086]
Töne der Luftzug ſtärker herantrug. Es war immer
der Deſſauer Marſch.
„Der alte Deſſauer ſang ja auch, wohl die
Kirchenlieder nach der Weiſe! — Es iſt Alles hier
eine Weiſe. Das iſt's, was den Muth dämpft.“
Walter meinte, in Anſichten ſei doch eine Muſter¬
karte vorhanden.
„Nein, die Uniform iſt in's Blut gedrungen.
Das iſt's! Das iſt das Uebel. Ein König war ein¬
mal ein Wütherich der Sitte, da wurde das Volk puri¬
taniſch, ein anderer ein Freidenker, da wurden ſie
Freigeiſter. Dann Libertins, zur Abwechſelung Träu¬
mer, magnetiſch verzückt, Geiſterſeher. Aus Ueberdruß
auch wieder tugendhaft, häuslich. Sie wären Ency¬
klopädiſten, Freimaurer, bureaukratiſch fiſchblütige
Jacobiner geworden, wenn Menken länger gelebt,
und Beyme nicht in die Stricke der andern gefallen
wäre! — Und was das Uebelſte vom Uebel, ſie hal¬
ten dieſe Virtuoſität des Nachſpringens noch für
Bravour und Tugend.“
„Und hat nicht dieſe Virtuoſität oder Tugend
unſern Staat zu dem gemacht, was er iſt?“
„Reſpect vor dem Geſchlecht, junger Freund!
Die großen Männer waren es, die Rieſengeiſter, von
jenen Bergen ſtammend, auf denen auch der Hohen¬
ſtaufen in die Wolken ſah.“
Auch die Stammburg des Miniſters ſchaute
von einem Berge in die Wolken. Der Miniſter
mußte den lächelnden Zug um ſeine Augen ver¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/86>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.