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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852.

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Vorsehung ließ Reiche und Nationen vom Erdball
verschwinden, um andern Platz zu machen -- sie ließ
auch einen langen byzantinischen Todeskampf zu."

"Was Gott walte, rief Walter, daß diese Agonie
von Deutschland fern sei."

"Amen!" sagte der Minister.

Draußen klirrten Schleppsäbel auf dem Pflaster,
junge Officiere, von einem verspäteten Zechgelage
heimkehrend, gingen lachend und singend vorüber.
Es war eine unangenehme Störung in der Feier¬
stunde des Gespräches, in der stillen Feier der Nacht.

"Es sind Theilnehmer an der Bravade von heut
darunter, sagte Walter, der sich dem Fenster genähert
hatte. Sie sind des Erfolges sicher."

Der Minister legte seine Hand auf Walters
Schulter: "Und welchen andern, mein Freund, hätte
diese Bravade gehabt, wenn ein Jahr früher!
Damals hätte es zünden müssen. Damals, als das
Pulver gestreut lag. Laforest hätte seine Pässe fordern
müssen, es ging nicht anders. Hardenberg hätte sie
ihm auf der Stelle zugesandt -- der Sturm war
los, die Schleusen gebrochen, und die Sonne von
Austerlitz wäre anders untergegangen! Warum trieb
der Champagner ihr Blut nicht durch die Adern! --
Warum da nicht? Warum zu spät? Das sind die
Fragen, die unsere Philosophie aus ihren Angeln
heben."

Der Ministerialsecretair war schon aus der Thür,
als er ihn wieder zurückrief.

Vorſehung ließ Reiche und Nationen vom Erdball
verſchwinden, um andern Platz zu machen — ſie ließ
auch einen langen byzantiniſchen Todeskampf zu.“

„Was Gott walte, rief Walter, daß dieſe Agonie
von Deutſchland fern ſei.“

„Amen!“ ſagte der Miniſter.

Draußen klirrten Schleppſäbel auf dem Pflaſter,
junge Officiere, von einem verſpäteten Zechgelage
heimkehrend, gingen lachend und ſingend vorüber.
Es war eine unangenehme Störung in der Feier¬
ſtunde des Geſpräches, in der ſtillen Feier der Nacht.

„Es ſind Theilnehmer an der Bravade von heut
darunter, ſagte Walter, der ſich dem Fenſter genähert
hatte. Sie ſind des Erfolges ſicher.“

Der Miniſter legte ſeine Hand auf Walters
Schulter: „Und welchen andern, mein Freund, hätte
dieſe Bravade gehabt, wenn ein Jahr früher!
Damals hätte es zünden müſſen. Damals, als das
Pulver geſtreut lag. Laforeſt hätte ſeine Päſſe fordern
müſſen, es ging nicht anders. Hardenberg hätte ſie
ihm auf der Stelle zugeſandt — der Sturm war
los, die Schleuſen gebrochen, und die Sonne von
Auſterlitz wäre anders untergegangen! Warum trieb
der Champagner ihr Blut nicht durch die Adern! —
Warum da nicht? Warum zu ſpät? Das ſind die
Fragen, die unſere Philoſophie aus ihren Angeln
heben.“

Der Miniſterialſecretair war ſchon aus der Thür,
als er ihn wieder zurückrief.

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[85/0095] Vorſehung ließ Reiche und Nationen vom Erdball verſchwinden, um andern Platz zu machen — ſie ließ auch einen langen byzantiniſchen Todeskampf zu.“ „Was Gott walte, rief Walter, daß dieſe Agonie von Deutſchland fern ſei.“ „Amen!“ ſagte der Miniſter. Draußen klirrten Schleppſäbel auf dem Pflaſter, junge Officiere, von einem verſpäteten Zechgelage heimkehrend, gingen lachend und ſingend vorüber. Es war eine unangenehme Störung in der Feier¬ ſtunde des Geſpräches, in der ſtillen Feier der Nacht. „Es ſind Theilnehmer an der Bravade von heut darunter, ſagte Walter, der ſich dem Fenſter genähert hatte. Sie ſind des Erfolges ſicher.“ Der Miniſter legte ſeine Hand auf Walters Schulter: „Und welchen andern, mein Freund, hätte dieſe Bravade gehabt, wenn ein Jahr früher! Damals hätte es zünden müſſen. Damals, als das Pulver geſtreut lag. Laforeſt hätte ſeine Päſſe fordern müſſen, es ging nicht anders. Hardenberg hätte ſie ihm auf der Stelle zugeſandt — der Sturm war los, die Schleuſen gebrochen, und die Sonne von Auſterlitz wäre anders untergegangen! Warum trieb der Champagner ihr Blut nicht durch die Adern! — Warum da nicht? Warum zu ſpät? Das ſind die Fragen, die unſere Philoſophie aus ihren Angeln heben.“ Der Miniſterialſecretair war ſchon aus der Thür, als er ihn wieder zurückrief.

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/95>, abgerufen am 27.11.2024.