Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.einer reizenden jungen Dame in Königsberg verlobt habe und nicht zweifle, wenn er ihren Namen nenne, daß sein Oheim ein freudiges Ja zu der Hochzeit, zu der er ihn herzlichst einlade, senden werde. Die Geliebte sei keine Andere, als die Tochter des alten Freundes aus seinen Universitätsjahren, Benigna Behrend. Hätte noch etwas gefehlt, den Zorn des Freiherrn zu steigern, so war es die hinzugefügte Nachricht, daß Sacken's Freunde sich lebhaft für die Partie interessirten, und unter diesen vor Allen der Herzog. Theosophus hatte sich bei seinem Haß gegen das ganze Menschengeschlecht eine kleine Neigung für die deutsche Nation erhalten. Er meinte, hier seien noch Reste der aus der Welt verschwundenen Ehrlichkeit zu entdecken. Die Erinnerung an die Zeit, die er in Königsberg verlebt, gaukelte zuweilen wie ein Rosenschein durch die schwarzen Wolken, welche seinen Horizont umdüsterten. Mit mehr Wärme, als der Neffe je an dem Oheim wahrgenommen, hatte er von der uneigennützigen Theilnahme gesprochen, die er im Hause des Advocaten Behrend gefunden, und auch des Kindes erwähnt, dessen unschuldige und doch kluge Fragen ihn oft erheitert. Jetzt war auch dieser letzte Lichtschein an seinem Himmel verdunkelt. Ihm kam es vor, während er Deutschland hastig durchreis'te, als sei die Nation ausgetauscht; so widerwärtig, lieblos, habsüchtig blickten ihn alle Gesichter an. Er wünschte sich aus der Cultur hinaus in die lithauischen Steppen und stieg so selten, als es sich thun ließ, aus dem Wagen. einer reizenden jungen Dame in Königsberg verlobt habe und nicht zweifle, wenn er ihren Namen nenne, daß sein Oheim ein freudiges Ja zu der Hochzeit, zu der er ihn herzlichst einlade, senden werde. Die Geliebte sei keine Andere, als die Tochter des alten Freundes aus seinen Universitätsjahren, Benigna Behrend. Hätte noch etwas gefehlt, den Zorn des Freiherrn zu steigern, so war es die hinzugefügte Nachricht, daß Sacken's Freunde sich lebhaft für die Partie interessirten, und unter diesen vor Allen der Herzog. Theosophus hatte sich bei seinem Haß gegen das ganze Menschengeschlecht eine kleine Neigung für die deutsche Nation erhalten. Er meinte, hier seien noch Reste der aus der Welt verschwundenen Ehrlichkeit zu entdecken. Die Erinnerung an die Zeit, die er in Königsberg verlebt, gaukelte zuweilen wie ein Rosenschein durch die schwarzen Wolken, welche seinen Horizont umdüsterten. Mit mehr Wärme, als der Neffe je an dem Oheim wahrgenommen, hatte er von der uneigennützigen Theilnahme gesprochen, die er im Hause des Advocaten Behrend gefunden, und auch des Kindes erwähnt, dessen unschuldige und doch kluge Fragen ihn oft erheitert. Jetzt war auch dieser letzte Lichtschein an seinem Himmel verdunkelt. Ihm kam es vor, während er Deutschland hastig durchreis'te, als sei die Nation ausgetauscht; so widerwärtig, lieblos, habsüchtig blickten ihn alle Gesichter an. Er wünschte sich aus der Cultur hinaus in die lithauischen Steppen und stieg so selten, als es sich thun ließ, aus dem Wagen. <TEI> <text> <body> <div n="6"> <p><pb facs="#f0074"/> einer reizenden jungen Dame in Königsberg verlobt habe und nicht zweifle, wenn er ihren Namen nenne, daß sein Oheim ein freudiges Ja zu der Hochzeit, zu der er ihn herzlichst einlade, senden werde. Die Geliebte sei keine Andere, als die Tochter des alten Freundes aus seinen Universitätsjahren, Benigna Behrend. Hätte noch etwas gefehlt, den Zorn des Freiherrn zu steigern, so war es die hinzugefügte Nachricht, daß Sacken's Freunde sich lebhaft für die Partie interessirten, und unter diesen vor Allen der Herzog.</p><lb/> <p>Theosophus hatte sich bei seinem Haß gegen das ganze Menschengeschlecht eine kleine Neigung für die deutsche Nation erhalten. Er meinte, hier seien noch Reste der aus der Welt verschwundenen Ehrlichkeit zu entdecken. Die Erinnerung an die Zeit, die er in Königsberg verlebt, gaukelte zuweilen wie ein Rosenschein durch die schwarzen Wolken, welche seinen Horizont umdüsterten. Mit mehr Wärme, als der Neffe je an dem Oheim wahrgenommen, hatte er von der uneigennützigen Theilnahme gesprochen, die er im Hause des Advocaten Behrend gefunden, und auch des Kindes erwähnt, dessen unschuldige und doch kluge Fragen ihn oft erheitert. Jetzt war auch dieser letzte Lichtschein an seinem Himmel verdunkelt. Ihm kam es vor, während er Deutschland hastig durchreis'te, als sei die Nation ausgetauscht; so widerwärtig, lieblos, habsüchtig blickten ihn alle Gesichter an. Er wünschte sich aus der Cultur hinaus in die lithauischen Steppen und stieg so selten, als es sich thun ließ, aus dem Wagen.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
einer reizenden jungen Dame in Königsberg verlobt habe und nicht zweifle, wenn er ihren Namen nenne, daß sein Oheim ein freudiges Ja zu der Hochzeit, zu der er ihn herzlichst einlade, senden werde. Die Geliebte sei keine Andere, als die Tochter des alten Freundes aus seinen Universitätsjahren, Benigna Behrend. Hätte noch etwas gefehlt, den Zorn des Freiherrn zu steigern, so war es die hinzugefügte Nachricht, daß Sacken's Freunde sich lebhaft für die Partie interessirten, und unter diesen vor Allen der Herzog.
Theosophus hatte sich bei seinem Haß gegen das ganze Menschengeschlecht eine kleine Neigung für die deutsche Nation erhalten. Er meinte, hier seien noch Reste der aus der Welt verschwundenen Ehrlichkeit zu entdecken. Die Erinnerung an die Zeit, die er in Königsberg verlebt, gaukelte zuweilen wie ein Rosenschein durch die schwarzen Wolken, welche seinen Horizont umdüsterten. Mit mehr Wärme, als der Neffe je an dem Oheim wahrgenommen, hatte er von der uneigennützigen Theilnahme gesprochen, die er im Hause des Advocaten Behrend gefunden, und auch des Kindes erwähnt, dessen unschuldige und doch kluge Fragen ihn oft erheitert. Jetzt war auch dieser letzte Lichtschein an seinem Himmel verdunkelt. Ihm kam es vor, während er Deutschland hastig durchreis'te, als sei die Nation ausgetauscht; so widerwärtig, lieblos, habsüchtig blickten ihn alle Gesichter an. Er wünschte sich aus der Cultur hinaus in die lithauischen Steppen und stieg so selten, als es sich thun ließ, aus dem Wagen.
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