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Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Also daher die fuchsartige Freundlichkeit, der biedere Ton, die schlichte Sitte, monologisirte er, womit der deutsche Mann mich gefangen nahm! Er war nichts als ein schlauer Advocat in re propria. Die Uneigennützigkeit, mit der er meine Rechnungen schrieb, waren nur ein Aviso auf Mehr, und schon damals mußte das Kind mit dem Oheim liebäugeln, damit es einst den Neffen fangen sollte. So gehören nicht mehr Jahre, täglicher Umgang, es gehören Jahrzehnte dazu, um die Menschen kennen zu lernen; und auch dann vielleicht nicht. Der Neffe hintergeht den Ohm, der Bruder den Bruder, der Sohn den Vater. Scheue vor Allen den Stempel der Biederkeit an der Stirn; aus dem der Falschheit, weil sie sich selbst nicht treu bleiben kann, mag doch vielleicht noch Ehrlichkeit hervorgehn.

Mit einer Wolke voll Ungewitter in der Brust, die von jedem Verdrusse, den er auf der Reise erlitt, dunkler anschwoll, stieg der Freiherr in Königsberg vor dem Hause des Advocaten Behrend aus. Entladen sollte es sich gegen den Heuchler, den unverschämten Speculanten; niederdonnern wollte er ihn, zerstören die eitle Hoffnung und dann -- was dann geschehen sollte, wußte er noch nicht, aber das Donnerwetter entlud sich schon, indem er an der Klingel riß. -- Der Advocat war nicht zu Haus, die Gattin auch nicht, die Tochter mit den Eltern verreis't. Wohin? -- Nach Kurland, zur Hochzeit, antwortete ein Nachbar aus dem Fenster. -- Um in diese Hochzeit wie der Blitz in den Pulverthurm zu fahren,

Also daher die fuchsartige Freundlichkeit, der biedere Ton, die schlichte Sitte, monologisirte er, womit der deutsche Mann mich gefangen nahm! Er war nichts als ein schlauer Advocat in re propria. Die Uneigennützigkeit, mit der er meine Rechnungen schrieb, waren nur ein Aviso auf Mehr, und schon damals mußte das Kind mit dem Oheim liebäugeln, damit es einst den Neffen fangen sollte. So gehören nicht mehr Jahre, täglicher Umgang, es gehören Jahrzehnte dazu, um die Menschen kennen zu lernen; und auch dann vielleicht nicht. Der Neffe hintergeht den Ohm, der Bruder den Bruder, der Sohn den Vater. Scheue vor Allen den Stempel der Biederkeit an der Stirn; aus dem der Falschheit, weil sie sich selbst nicht treu bleiben kann, mag doch vielleicht noch Ehrlichkeit hervorgehn.

Mit einer Wolke voll Ungewitter in der Brust, die von jedem Verdrusse, den er auf der Reise erlitt, dunkler anschwoll, stieg der Freiherr in Königsberg vor dem Hause des Advocaten Behrend aus. Entladen sollte es sich gegen den Heuchler, den unverschämten Speculanten; niederdonnern wollte er ihn, zerstören die eitle Hoffnung und dann — was dann geschehen sollte, wußte er noch nicht, aber das Donnerwetter entlud sich schon, indem er an der Klingel riß. — Der Advocat war nicht zu Haus, die Gattin auch nicht, die Tochter mit den Eltern verreis't. Wohin? — Nach Kurland, zur Hochzeit, antwortete ein Nachbar aus dem Fenster. — Um in diese Hochzeit wie der Blitz in den Pulverthurm zu fahren,

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[0075] Also daher die fuchsartige Freundlichkeit, der biedere Ton, die schlichte Sitte, monologisirte er, womit der deutsche Mann mich gefangen nahm! Er war nichts als ein schlauer Advocat in re propria. Die Uneigennützigkeit, mit der er meine Rechnungen schrieb, waren nur ein Aviso auf Mehr, und schon damals mußte das Kind mit dem Oheim liebäugeln, damit es einst den Neffen fangen sollte. So gehören nicht mehr Jahre, täglicher Umgang, es gehören Jahrzehnte dazu, um die Menschen kennen zu lernen; und auch dann vielleicht nicht. Der Neffe hintergeht den Ohm, der Bruder den Bruder, der Sohn den Vater. Scheue vor Allen den Stempel der Biederkeit an der Stirn; aus dem der Falschheit, weil sie sich selbst nicht treu bleiben kann, mag doch vielleicht noch Ehrlichkeit hervorgehn. Mit einer Wolke voll Ungewitter in der Brust, die von jedem Verdrusse, den er auf der Reise erlitt, dunkler anschwoll, stieg der Freiherr in Königsberg vor dem Hause des Advocaten Behrend aus. Entladen sollte es sich gegen den Heuchler, den unverschämten Speculanten; niederdonnern wollte er ihn, zerstören die eitle Hoffnung und dann — was dann geschehen sollte, wußte er noch nicht, aber das Donnerwetter entlud sich schon, indem er an der Klingel riß. — Der Advocat war nicht zu Haus, die Gattin auch nicht, die Tochter mit den Eltern verreis't. Wohin? — Nach Kurland, zur Hochzeit, antwortete ein Nachbar aus dem Fenster. — Um in diese Hochzeit wie der Blitz in den Pulverthurm zu fahren,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:11:53Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:11:53Z)

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Herr von Sacken. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 10. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–202. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_sacken_1910/75>, abgerufen am 26.11.2024.