Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Der mir gegenübersitzende Blondkopf schien meinen Schmerz zu errathen und sagte mit einem überlegenen Lächeln: Ihr bedauert wohl gar, daß Ihr den Dunst Eures Giftkrauts nicht einathmen könnt? -- Ich war über die sonderbare Anrede so bestürzt, daß ich anfangs keine Antwort finden konnte. Indeß hoffend, dieser etwas ungewöhnliche Eingang möchte bloß eine ironische Einleitung zu einem freundlichen Feuerangebot sein, sagte ich höflich: Könnten Sie, Verehrter, mir vielleicht aus der Noth helfen? Und wenn ich's auch tausendmal könnte, so thät' ich's doch nicht, versetzte er: ich werde wahrlich nie einem Menschen behülflich sein, sich zu vergiften. Denn, setzte er mit salbungsvollem Tone hinzu, unser Leib soll uns heilig sein. Nach diesen Worten stieß er das Wagenfenster auf, fuhr mit dem Arm hinaus, schaufelte an der äußeren Wand des Wagens eine Handvoll Schnee zusammen und rieb sie sich ins Gesicht. Mich fröstelte bei dem Anblick. Ich blickte unwillkürlich die übrige Gesellschaft an; der Herr neben mir verzog keine Miene, die junge Dame lächelte, und erröthete, als ich es bemerkte. Ich hätte sie gern angeredet; aber bei dem bloßen Gedanken daran wurde ich so verlegen, daß ich nahe daran war, auch zu erröthen. Inzwischen verhüllte die rasch zunehmende Abenddämmerung die Gestalten in dem Wagen mehr und mehr. Ich versank in Betrachtungen über meine Zukunft, aus denen mich nur zuweilen die unruhigen Bewegungen des mir gegenübersitzenden jungen Bramarbas erweckten, welcher wiederholt seinen Kopf aus dem Wagenfenster ins Schneegestöber hinaussteckte. Ein herrliches Wetter! rief er begeistert; wie wohl thut einer deutschen Brust dieser sausende Nordwind! Sagt an, Freund, vermißt Ihr bei diesem reinen Hauch noch Euren Tabaksdunst? -- Ich sehe wohl, erwiderte ich halb verdrießlich, halb lächelnd, Sie sind ein abgesagter Feind des Rauchens; aber Sie Der mir gegenübersitzende Blondkopf schien meinen Schmerz zu errathen und sagte mit einem überlegenen Lächeln: Ihr bedauert wohl gar, daß Ihr den Dunst Eures Giftkrauts nicht einathmen könnt? — Ich war über die sonderbare Anrede so bestürzt, daß ich anfangs keine Antwort finden konnte. Indeß hoffend, dieser etwas ungewöhnliche Eingang möchte bloß eine ironische Einleitung zu einem freundlichen Feuerangebot sein, sagte ich höflich: Könnten Sie, Verehrter, mir vielleicht aus der Noth helfen? Und wenn ich's auch tausendmal könnte, so thät' ich's doch nicht, versetzte er: ich werde wahrlich nie einem Menschen behülflich sein, sich zu vergiften. Denn, setzte er mit salbungsvollem Tone hinzu, unser Leib soll uns heilig sein. Nach diesen Worten stieß er das Wagenfenster auf, fuhr mit dem Arm hinaus, schaufelte an der äußeren Wand des Wagens eine Handvoll Schnee zusammen und rieb sie sich ins Gesicht. Mich fröstelte bei dem Anblick. Ich blickte unwillkürlich die übrige Gesellschaft an; der Herr neben mir verzog keine Miene, die junge Dame lächelte, und erröthete, als ich es bemerkte. Ich hätte sie gern angeredet; aber bei dem bloßen Gedanken daran wurde ich so verlegen, daß ich nahe daran war, auch zu erröthen. Inzwischen verhüllte die rasch zunehmende Abenddämmerung die Gestalten in dem Wagen mehr und mehr. Ich versank in Betrachtungen über meine Zukunft, aus denen mich nur zuweilen die unruhigen Bewegungen des mir gegenübersitzenden jungen Bramarbas erweckten, welcher wiederholt seinen Kopf aus dem Wagenfenster ins Schneegestöber hinaussteckte. Ein herrliches Wetter! rief er begeistert; wie wohl thut einer deutschen Brust dieser sausende Nordwind! Sagt an, Freund, vermißt Ihr bei diesem reinen Hauch noch Euren Tabaksdunst? — Ich sehe wohl, erwiderte ich halb verdrießlich, halb lächelnd, Sie sind ein abgesagter Feind des Rauchens; aber Sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0012"/> <p>Der mir gegenübersitzende Blondkopf schien meinen Schmerz zu errathen und sagte mit einem überlegenen Lächeln: Ihr bedauert wohl gar, daß Ihr den Dunst Eures Giftkrauts nicht einathmen könnt? — Ich war über die sonderbare Anrede so bestürzt, daß ich anfangs keine Antwort finden konnte. 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Inzwischen verhüllte die rasch zunehmende Abenddämmerung die Gestalten in dem Wagen mehr und mehr. Ich versank in Betrachtungen über meine Zukunft, aus denen mich nur zuweilen die unruhigen Bewegungen des mir gegenübersitzenden jungen Bramarbas erweckten, welcher wiederholt seinen Kopf aus dem Wagenfenster ins Schneegestöber hinaussteckte. Ein herrliches Wetter! rief er begeistert; wie wohl thut einer deutschen Brust dieser sausende Nordwind! Sagt an, Freund, vermißt Ihr bei diesem reinen Hauch noch Euren Tabaksdunst? — Ich sehe wohl, erwiderte ich halb verdrießlich, halb lächelnd, Sie sind ein abgesagter Feind des Rauchens; aber Sie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Der mir gegenübersitzende Blondkopf schien meinen Schmerz zu errathen und sagte mit einem überlegenen Lächeln: Ihr bedauert wohl gar, daß Ihr den Dunst Eures Giftkrauts nicht einathmen könnt? — Ich war über die sonderbare Anrede so bestürzt, daß ich anfangs keine Antwort finden konnte. Indeß hoffend, dieser etwas ungewöhnliche Eingang möchte bloß eine ironische Einleitung zu einem freundlichen Feuerangebot sein, sagte ich höflich: Könnten Sie, Verehrter, mir vielleicht aus der Noth helfen?
Und wenn ich's auch tausendmal könnte, so thät' ich's doch nicht, versetzte er: ich werde wahrlich nie einem Menschen behülflich sein, sich zu vergiften. Denn, setzte er mit salbungsvollem Tone hinzu, unser Leib soll uns heilig sein. Nach diesen Worten stieß er das Wagenfenster auf, fuhr mit dem Arm hinaus, schaufelte an der äußeren Wand des Wagens eine Handvoll Schnee zusammen und rieb sie sich ins Gesicht. Mich fröstelte bei dem Anblick.
Ich blickte unwillkürlich die übrige Gesellschaft an; der Herr neben mir verzog keine Miene, die junge Dame lächelte, und erröthete, als ich es bemerkte. Ich hätte sie gern angeredet; aber bei dem bloßen Gedanken daran wurde ich so verlegen, daß ich nahe daran war, auch zu erröthen. Inzwischen verhüllte die rasch zunehmende Abenddämmerung die Gestalten in dem Wagen mehr und mehr. Ich versank in Betrachtungen über meine Zukunft, aus denen mich nur zuweilen die unruhigen Bewegungen des mir gegenübersitzenden jungen Bramarbas erweckten, welcher wiederholt seinen Kopf aus dem Wagenfenster ins Schneegestöber hinaussteckte. Ein herrliches Wetter! rief er begeistert; wie wohl thut einer deutschen Brust dieser sausende Nordwind! Sagt an, Freund, vermißt Ihr bei diesem reinen Hauch noch Euren Tabaksdunst? — Ich sehe wohl, erwiderte ich halb verdrießlich, halb lächelnd, Sie sind ein abgesagter Feind des Rauchens; aber Sie
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Zitationshilfe: | Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/12>, abgerufen am 16.07.2024. |