Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.kommen, wie wir das bei uns im Heiligen Römischen Reich seligen Andenkens sattsam genossen haben. Je kleiner das Land, desto mehr Schlagbäume und desto größere Steuern; je weniger Volk, desto mehr Standesunterschiede; je weniger zu regieren, desto mehr Beamte; je kleiner das Heer, desto mehr Paraden; je weniger Macht, desto mehr Anmasung. Und um diese Herrlichkeit zurückzuführen, sollen wir unsern letzten Thaler hergeben oder gar unser Leben riskiren? -- Thoren, die's thun! Ich kann nicht leugnen, daß die den weinigen schnurstracks entgegenlaufenden Ansichten des Amtmanns mir imponirten; ich wurde zweifelhaft und fühlte mich in meinem Vertrauen an den Sieg der guten Sache erschüttert. In diesem Augenblick wurde Herr O. abgerufen; er ersuchte mich, seine Rückkunft zu erwarten. Ich trat aus der Laube und bemerkte, daß der hintere Theil des Gartens in Parkanlagen auslief. Ich wandelte zwischen den im ersten sommerlichen Grün prangenden Baumgruppen umher, als ich unter den Wipfeln einiger hochstämmiger Buchen ein Borkenhäuschen in der Form einer Kapelle erblickte. Ich trat näher und sah die Thür des Häuschen offen stehen. Nach einigem Bedenken folgte ich dem Zuge der Neugier und trat hinein. Wie erschrak ich aber, als ich mich einer schwarz gekleideten Dame gegenüber fand, welche im Innern der Kapelle an einem mit buntfarbigen Scheiben gefüllten Fenster vor einer Staffelei saß, auf welcher ein fast vollendetes Porträt aufgestellt war. Mein Eintritt war so geräuschlos gewesen, daß die Dame, in ihre Arbeit vertieft, mich nicht bemerkt hatte. Ich wollte zurücktreten; aber der Anblick fesselte mich. Es war ein Bild wie aus einem Tieck'schen Märchen. Die kleine, gewölbte Kapelle, matt erhellt von den durch die farbigen Scheiben brechenden Sonnenstrahlen, -- die schwarzgekleidete Frauengestalt, deren blasses, edel geformtes Antlitz von den gelben und kommen, wie wir das bei uns im Heiligen Römischen Reich seligen Andenkens sattsam genossen haben. Je kleiner das Land, desto mehr Schlagbäume und desto größere Steuern; je weniger Volk, desto mehr Standesunterschiede; je weniger zu regieren, desto mehr Beamte; je kleiner das Heer, desto mehr Paraden; je weniger Macht, desto mehr Anmasung. Und um diese Herrlichkeit zurückzuführen, sollen wir unsern letzten Thaler hergeben oder gar unser Leben riskiren? — Thoren, die's thun! Ich kann nicht leugnen, daß die den weinigen schnurstracks entgegenlaufenden Ansichten des Amtmanns mir imponirten; ich wurde zweifelhaft und fühlte mich in meinem Vertrauen an den Sieg der guten Sache erschüttert. In diesem Augenblick wurde Herr O. abgerufen; er ersuchte mich, seine Rückkunft zu erwarten. Ich trat aus der Laube und bemerkte, daß der hintere Theil des Gartens in Parkanlagen auslief. Ich wandelte zwischen den im ersten sommerlichen Grün prangenden Baumgruppen umher, als ich unter den Wipfeln einiger hochstämmiger Buchen ein Borkenhäuschen in der Form einer Kapelle erblickte. Ich trat näher und sah die Thür des Häuschen offen stehen. Nach einigem Bedenken folgte ich dem Zuge der Neugier und trat hinein. Wie erschrak ich aber, als ich mich einer schwarz gekleideten Dame gegenüber fand, welche im Innern der Kapelle an einem mit buntfarbigen Scheiben gefüllten Fenster vor einer Staffelei saß, auf welcher ein fast vollendetes Porträt aufgestellt war. Mein Eintritt war so geräuschlos gewesen, daß die Dame, in ihre Arbeit vertieft, mich nicht bemerkt hatte. Ich wollte zurücktreten; aber der Anblick fesselte mich. Es war ein Bild wie aus einem Tieck'schen Märchen. 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kommen, wie wir das bei uns im Heiligen Römischen Reich seligen Andenkens sattsam genossen haben. Je kleiner das Land, desto mehr Schlagbäume und desto größere Steuern; je weniger Volk, desto mehr Standesunterschiede; je weniger zu regieren, desto mehr Beamte; je kleiner das Heer, desto mehr Paraden; je weniger Macht, desto mehr Anmasung. Und um diese Herrlichkeit zurückzuführen, sollen wir unsern letzten Thaler hergeben oder gar unser Leben riskiren? — Thoren, die's thun!
Ich kann nicht leugnen, daß die den weinigen schnurstracks entgegenlaufenden Ansichten des Amtmanns mir imponirten; ich wurde zweifelhaft und fühlte mich in meinem Vertrauen an den Sieg der guten Sache erschüttert. In diesem Augenblick wurde Herr O. abgerufen; er ersuchte mich, seine Rückkunft zu erwarten.
Ich trat aus der Laube und bemerkte, daß der hintere Theil des Gartens in Parkanlagen auslief. Ich wandelte zwischen den im ersten sommerlichen Grün prangenden Baumgruppen umher, als ich unter den Wipfeln einiger hochstämmiger Buchen ein Borkenhäuschen in der Form einer Kapelle erblickte. Ich trat näher und sah die Thür des Häuschen offen stehen. Nach einigem Bedenken folgte ich dem Zuge der Neugier und trat hinein. Wie erschrak ich aber, als ich mich einer schwarz gekleideten Dame gegenüber fand, welche im Innern der Kapelle an einem mit buntfarbigen Scheiben gefüllten Fenster vor einer Staffelei saß, auf welcher ein fast vollendetes Porträt aufgestellt war.
Mein Eintritt war so geräuschlos gewesen, daß die Dame, in ihre Arbeit vertieft, mich nicht bemerkt hatte. Ich wollte zurücktreten; aber der Anblick fesselte mich. Es war ein Bild wie aus einem Tieck'schen Märchen. Die kleine, gewölbte Kapelle, matt erhellt von den durch die farbigen Scheiben brechenden Sonnenstrahlen, — die schwarzgekleidete Frauengestalt, deren blasses, edel geformtes Antlitz von den gelben und
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