Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

allerdings, daß sich für meine Lehrthätigkeit hier ein völlig unbebautes Feld eröffnete. Der Unterrichtsplan wurde festgesetzt, wobei der Amtmann über meine Zeit in einer ziemlich despotischen Weise disponirte; er hatte sie ja gekauft, und ich ergab mich in mein Loos.

Wie schlichen die Stunden dahin, wie sehnt' ich mich nach dem Abend, der mir Gelegenheit geben würde, das Fräulein zu sehen! --Ach, ich mußte ihre Schicksale erfahren; sie mußte mir Alles anvertrauen, ich hatte ihr so viel zu sagen.

Der Abend kam, aber meine Hoffnung wurde getäuscht; ich sah Fräulein von Halden erst bei Tisch, wo sich die Unterhaltung meist um Wirthschaftsangelegenheiten bewegte. Nach beendigtem Mahl wurde der vom Hausherrn eingeführten und heilig gehaltenen Gewohnheit gemäß eine Whistparthie gespielt, an welcher ich mit dem Verwalter und der "Mamsell" Theil nehmen mußte. Das Fräulein wurde nur auf ihre dringende Bitte davon dispensirt und zog sich auf ihr Zimmer zurück, worüber Herr O. sehr ungehalten schien.

Am andern Morgen erwacht' ich mit dem ersten Sonnenstrahl, kleidete mich rasch an und eilte in den Park. Wie ein Dieb schlich ich nach dem Borkenhäuschen; die Pforte war verschlossen. Ich konnte mir nicht versagen, durch das Fenster in das Innere des Heiligthums zu blicken; das Bild stand noch immer auf der Staffelet; ich betrachtete es mit eigenen Gefühlen, es war mir, als ob der Mann mit den großen blauen Augen mich trauernd anblickte, und als ob sich seine Lippen bewegten.

Ich kehrte nach dem Hause zurück; außer dem Amtmann fand ich schon alle Personen wach und in Bewegung. Ich begann meine Unterrichtsstunden. Gegen Mittag sah ich durchs Fenster den Amtmann ins Feld reiten. Ich gab meinen Zöglingen die Freiheit und ging nach der Kapelle.

allerdings, daß sich für meine Lehrthätigkeit hier ein völlig unbebautes Feld eröffnete. Der Unterrichtsplan wurde festgesetzt, wobei der Amtmann über meine Zeit in einer ziemlich despotischen Weise disponirte; er hatte sie ja gekauft, und ich ergab mich in mein Loos.

Wie schlichen die Stunden dahin, wie sehnt' ich mich nach dem Abend, der mir Gelegenheit geben würde, das Fräulein zu sehen! —Ach, ich mußte ihre Schicksale erfahren; sie mußte mir Alles anvertrauen, ich hatte ihr so viel zu sagen.

Der Abend kam, aber meine Hoffnung wurde getäuscht; ich sah Fräulein von Halden erst bei Tisch, wo sich die Unterhaltung meist um Wirthschaftsangelegenheiten bewegte. Nach beendigtem Mahl wurde der vom Hausherrn eingeführten und heilig gehaltenen Gewohnheit gemäß eine Whistparthie gespielt, an welcher ich mit dem Verwalter und der „Mamsell“ Theil nehmen mußte. Das Fräulein wurde nur auf ihre dringende Bitte davon dispensirt und zog sich auf ihr Zimmer zurück, worüber Herr O. sehr ungehalten schien.

Am andern Morgen erwacht' ich mit dem ersten Sonnenstrahl, kleidete mich rasch an und eilte in den Park. Wie ein Dieb schlich ich nach dem Borkenhäuschen; die Pforte war verschlossen. Ich konnte mir nicht versagen, durch das Fenster in das Innere des Heiligthums zu blicken; das Bild stand noch immer auf der Staffelet; ich betrachtete es mit eigenen Gefühlen, es war mir, als ob der Mann mit den großen blauen Augen mich trauernd anblickte, und als ob sich seine Lippen bewegten.

Ich kehrte nach dem Hause zurück; außer dem Amtmann fand ich schon alle Personen wach und in Bewegung. Ich begann meine Unterrichtsstunden. Gegen Mittag sah ich durchs Fenster den Amtmann ins Feld reiten. Ich gab meinen Zöglingen die Freiheit und ging nach der Kapelle.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0047"/>
allerdings, daß sich für meine Lehrthätigkeit hier ein völlig      unbebautes Feld eröffnete. Der Unterrichtsplan wurde festgesetzt, wobei der Amtmann über meine      Zeit in einer ziemlich despotischen Weise disponirte; er hatte sie ja gekauft, und ich ergab      mich in mein Loos. </p><lb/>
        <p>Wie schlichen die Stunden dahin, wie sehnt' ich mich nach dem Abend, der mir Gelegenheit      geben würde, das Fräulein zu sehen! &#x2014;Ach, ich mußte ihre Schicksale erfahren; sie mußte mir      Alles anvertrauen, ich hatte ihr so viel zu sagen. </p><lb/>
        <p>Der Abend kam, aber meine Hoffnung wurde getäuscht; ich sah Fräulein von Halden erst bei      Tisch, wo sich die Unterhaltung meist um Wirthschaftsangelegenheiten bewegte. Nach beendigtem      Mahl wurde der vom Hausherrn eingeführten und heilig gehaltenen Gewohnheit gemäß eine      Whistparthie gespielt, an welcher ich mit dem Verwalter und der &#x201E;Mamsell&#x201C; Theil nehmen mußte.      Das Fräulein wurde nur auf ihre dringende Bitte davon dispensirt und zog sich auf ihr Zimmer      zurück, worüber Herr O. sehr ungehalten schien. </p><lb/>
        <p>Am andern Morgen erwacht' ich mit dem ersten Sonnenstrahl, kleidete mich rasch an und eilte      in den Park. Wie ein Dieb schlich ich nach dem Borkenhäuschen; die Pforte war verschlossen. Ich      konnte mir nicht versagen, durch das Fenster in das Innere des Heiligthums zu blicken; das Bild      stand noch immer auf der Staffelet; ich betrachtete es mit eigenen Gefühlen, es war mir, als ob      der Mann mit den großen blauen Augen mich trauernd anblickte, und als ob sich seine Lippen      bewegten. </p><lb/>
        <p>Ich kehrte nach dem Hause zurück; außer dem Amtmann fand ich schon alle Personen wach und in      Bewegung. Ich begann meine Unterrichtsstunden. Gegen Mittag sah ich durchs Fenster den Amtmann      ins Feld reiten. Ich gab meinen Zöglingen die Freiheit und ging nach der Kapelle. </p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0047] allerdings, daß sich für meine Lehrthätigkeit hier ein völlig unbebautes Feld eröffnete. Der Unterrichtsplan wurde festgesetzt, wobei der Amtmann über meine Zeit in einer ziemlich despotischen Weise disponirte; er hatte sie ja gekauft, und ich ergab mich in mein Loos. Wie schlichen die Stunden dahin, wie sehnt' ich mich nach dem Abend, der mir Gelegenheit geben würde, das Fräulein zu sehen! —Ach, ich mußte ihre Schicksale erfahren; sie mußte mir Alles anvertrauen, ich hatte ihr so viel zu sagen. Der Abend kam, aber meine Hoffnung wurde getäuscht; ich sah Fräulein von Halden erst bei Tisch, wo sich die Unterhaltung meist um Wirthschaftsangelegenheiten bewegte. Nach beendigtem Mahl wurde der vom Hausherrn eingeführten und heilig gehaltenen Gewohnheit gemäß eine Whistparthie gespielt, an welcher ich mit dem Verwalter und der „Mamsell“ Theil nehmen mußte. Das Fräulein wurde nur auf ihre dringende Bitte davon dispensirt und zog sich auf ihr Zimmer zurück, worüber Herr O. sehr ungehalten schien. Am andern Morgen erwacht' ich mit dem ersten Sonnenstrahl, kleidete mich rasch an und eilte in den Park. Wie ein Dieb schlich ich nach dem Borkenhäuschen; die Pforte war verschlossen. Ich konnte mir nicht versagen, durch das Fenster in das Innere des Heiligthums zu blicken; das Bild stand noch immer auf der Staffelet; ich betrachtete es mit eigenen Gefühlen, es war mir, als ob der Mann mit den großen blauen Augen mich trauernd anblickte, und als ob sich seine Lippen bewegten. Ich kehrte nach dem Hause zurück; außer dem Amtmann fand ich schon alle Personen wach und in Bewegung. Ich begann meine Unterrichtsstunden. Gegen Mittag sah ich durchs Fenster den Amtmann ins Feld reiten. Ich gab meinen Zöglingen die Freiheit und ging nach der Kapelle.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T12:28:07Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/47
Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/47>, abgerufen am 21.11.2024.