Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Ich fand das Fräulein, wie am vorigen Tage; das Gemälde war beendigt, und sie stand sinnend davor. Ich begann mit einer wohleinstudirten Schutzrede für meine Kühnheit, schon wieder unberufen in das Heiligthum einzudringen. Ich berief mich auf meine doppelte Eigenschaft als einstiger Reisegefährte und nunmehriger Hausgenosse und deutete auf die wunderbare Fügung unseres Wiedersehens hin. Möchten Sie darin, rief ich warm, einen Wink des Himmels sehen, daß Sie mir vertrauen dürfen. Betrachten Sie mich als einen bescheidenen und zuverlässigen Freund. Allerdings ist unsre Bekanntschaft von kurzer Dauer. Aber sind wir armen Menschen hienieden denn so überreich an fremder Liebe, um noch so viele Schränken des Mißtrauens und der Convention gegen einander aufzuthürmen, um höflich kalt an einander vorüberzugehen, wenn vielleicht daß Herz nach Mittheilung seufzt? Ich sprach noch viel in dieser Weise; ich war auf einmal so beredt, als ich den Tag zuvor scheu und linkisch gewesen sein mochte. Vielleicht, daß mein geistlicher Stand und meine ehrliche Physiognomie, welche selbst vor einem Lavater Gnade gefunden hätte, den Antrag meiner Freundschaft unbedenklich erscheinen ließ -- genug, Anna von Halden schenkte mir Vertrauen und erzählte mir die Schicksale, welche sie in dieses ländliche Asyl verschlagen hatten. An dem Tage, an welchem wir uns zuerst begegnet, an jenem auch für mich so bedeutungsvollen 12. Februar, hatte sie ihren Vater zum letzten Mal umarmt. Er hatte als preußischer Major nach dem Frieden von Tilsit seinen Abschied genommen und voll Kummer über das Loos seines Landes in der Zurückgezogenheit gelebt, als der zwischen Frankreich und Rußland drohende Krieg seine Hoffnungen neu entflammte. Er beschloß, so mancher seiner preußischen Waffenbruder, unter die Fahnen Alexander's zu eilen und auf den sarmatischen Steppen für Deutschlands Erlösung zu kämpfen. Er wollte seiner einzigen Tochter trotz ihrer innigsten Bitten Ich fand das Fräulein, wie am vorigen Tage; das Gemälde war beendigt, und sie stand sinnend davor. Ich begann mit einer wohleinstudirten Schutzrede für meine Kühnheit, schon wieder unberufen in das Heiligthum einzudringen. Ich berief mich auf meine doppelte Eigenschaft als einstiger Reisegefährte und nunmehriger Hausgenosse und deutete auf die wunderbare Fügung unseres Wiedersehens hin. Möchten Sie darin, rief ich warm, einen Wink des Himmels sehen, daß Sie mir vertrauen dürfen. Betrachten Sie mich als einen bescheidenen und zuverlässigen Freund. Allerdings ist unsre Bekanntschaft von kurzer Dauer. Aber sind wir armen Menschen hienieden denn so überreich an fremder Liebe, um noch so viele Schränken des Mißtrauens und der Convention gegen einander aufzuthürmen, um höflich kalt an einander vorüberzugehen, wenn vielleicht daß Herz nach Mittheilung seufzt? Ich sprach noch viel in dieser Weise; ich war auf einmal so beredt, als ich den Tag zuvor scheu und linkisch gewesen sein mochte. Vielleicht, daß mein geistlicher Stand und meine ehrliche Physiognomie, welche selbst vor einem Lavater Gnade gefunden hätte, den Antrag meiner Freundschaft unbedenklich erscheinen ließ — genug, Anna von Halden schenkte mir Vertrauen und erzählte mir die Schicksale, welche sie in dieses ländliche Asyl verschlagen hatten. An dem Tage, an welchem wir uns zuerst begegnet, an jenem auch für mich so bedeutungsvollen 12. Februar, hatte sie ihren Vater zum letzten Mal umarmt. Er hatte als preußischer Major nach dem Frieden von Tilsit seinen Abschied genommen und voll Kummer über das Loos seines Landes in der Zurückgezogenheit gelebt, als der zwischen Frankreich und Rußland drohende Krieg seine Hoffnungen neu entflammte. Er beschloß, so mancher seiner preußischen Waffenbruder, unter die Fahnen Alexander's zu eilen und auf den sarmatischen Steppen für Deutschlands Erlösung zu kämpfen. Er wollte seiner einzigen Tochter trotz ihrer innigsten Bitten <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0048"/> <p>Ich fand das Fräulein, wie am vorigen Tage; das Gemälde war beendigt, und sie stand sinnend davor. </p><lb/> <p>Ich begann mit einer wohleinstudirten Schutzrede für meine Kühnheit, schon wieder unberufen in das Heiligthum einzudringen. Ich berief mich auf meine doppelte Eigenschaft als einstiger Reisegefährte und nunmehriger Hausgenosse und deutete auf die wunderbare Fügung unseres Wiedersehens hin. Möchten Sie darin, rief ich warm, einen Wink des Himmels sehen, daß Sie mir vertrauen dürfen. Betrachten Sie mich als einen bescheidenen und zuverlässigen Freund. Allerdings ist unsre Bekanntschaft von kurzer Dauer. Aber sind wir armen Menschen hienieden denn so überreich an fremder Liebe, um noch so viele Schränken des Mißtrauens und der Convention gegen einander aufzuthürmen, um höflich kalt an einander vorüberzugehen, wenn vielleicht daß Herz nach Mittheilung seufzt? Ich sprach noch viel in dieser Weise; ich war auf einmal so beredt, als ich den Tag zuvor scheu und linkisch gewesen sein mochte. Vielleicht, daß mein geistlicher Stand und meine ehrliche Physiognomie, welche selbst vor einem Lavater Gnade gefunden hätte, den Antrag meiner Freundschaft unbedenklich erscheinen ließ — genug, Anna von Halden schenkte mir Vertrauen und erzählte mir die Schicksale, welche sie in dieses ländliche Asyl verschlagen hatten. An dem Tage, an welchem wir uns zuerst begegnet, an jenem auch für mich so bedeutungsvollen 12. Februar, hatte sie ihren Vater zum letzten Mal umarmt. Er hatte als preußischer Major nach dem Frieden von Tilsit seinen Abschied genommen und voll Kummer über das Loos seines Landes in der Zurückgezogenheit gelebt, als der zwischen Frankreich und Rußland drohende Krieg seine Hoffnungen neu entflammte. Er beschloß, so mancher seiner preußischen Waffenbruder, unter die Fahnen Alexander's zu eilen und auf den sarmatischen Steppen für Deutschlands Erlösung zu kämpfen. Er wollte seiner einzigen Tochter trotz ihrer innigsten Bitten<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0048]
Ich fand das Fräulein, wie am vorigen Tage; das Gemälde war beendigt, und sie stand sinnend davor.
Ich begann mit einer wohleinstudirten Schutzrede für meine Kühnheit, schon wieder unberufen in das Heiligthum einzudringen. Ich berief mich auf meine doppelte Eigenschaft als einstiger Reisegefährte und nunmehriger Hausgenosse und deutete auf die wunderbare Fügung unseres Wiedersehens hin. Möchten Sie darin, rief ich warm, einen Wink des Himmels sehen, daß Sie mir vertrauen dürfen. Betrachten Sie mich als einen bescheidenen und zuverlässigen Freund. Allerdings ist unsre Bekanntschaft von kurzer Dauer. Aber sind wir armen Menschen hienieden denn so überreich an fremder Liebe, um noch so viele Schränken des Mißtrauens und der Convention gegen einander aufzuthürmen, um höflich kalt an einander vorüberzugehen, wenn vielleicht daß Herz nach Mittheilung seufzt? Ich sprach noch viel in dieser Weise; ich war auf einmal so beredt, als ich den Tag zuvor scheu und linkisch gewesen sein mochte. Vielleicht, daß mein geistlicher Stand und meine ehrliche Physiognomie, welche selbst vor einem Lavater Gnade gefunden hätte, den Antrag meiner Freundschaft unbedenklich erscheinen ließ — genug, Anna von Halden schenkte mir Vertrauen und erzählte mir die Schicksale, welche sie in dieses ländliche Asyl verschlagen hatten. An dem Tage, an welchem wir uns zuerst begegnet, an jenem auch für mich so bedeutungsvollen 12. Februar, hatte sie ihren Vater zum letzten Mal umarmt. Er hatte als preußischer Major nach dem Frieden von Tilsit seinen Abschied genommen und voll Kummer über das Loos seines Landes in der Zurückgezogenheit gelebt, als der zwischen Frankreich und Rußland drohende Krieg seine Hoffnungen neu entflammte. Er beschloß, so mancher seiner preußischen Waffenbruder, unter die Fahnen Alexander's zu eilen und auf den sarmatischen Steppen für Deutschlands Erlösung zu kämpfen. Er wollte seiner einzigen Tochter trotz ihrer innigsten Bitten
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T12:28:07Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T12:28:07Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: nicht gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |